Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur
Autoren: Susanne Wahl
Vom Netzwerk:
in der Nase, oder es ist Alzheimer. Nachlassender Geruchssinn ist ein früher, aber sicherer Hinweis. Bei dem Wein gerade eben hatte er allerdings keinerlei Probleme.“
    „Und überhaupt!“, protestierte Rike. „Was redest du da von Frühlingsgefühlen? Der Mann ist über sechzig!“
    „Na und? Ich liebe Männer über sechzig. Komm, Mariacarla, jetzt geht’s ins Bett. Zähneputzen fällt aus, wenn Tante Lotte da ist.“
    Nachdem die Kinder im Bett waren, setzten sich die Freundinnen ins Wohnzimmer. Die Terrassentüren standen auf, der Abendwind trug den Duft von Rikes Rosen herein und wehte die langen weißen Vorhänge ins Zimmer. Lotte entkorkte die zweite Flasche und füllte die Gläser für sich und Rike. Die sank in ihren Sessel und legte der Krampfadern wegen die Beine hoch.
    „Hat sich Heiner verändert? Ist dir etwas aufgefallen?“, fragte Lotte.
    Rike schüttelte den Kopf. „Nichts. Seine Beraterjobs machen ihm Spaß und halten ihn auf Trab, so dass er ausgeruhter und besser gelaunt ist als früher … Aber sonst? Nein, mir ist nichts aufgefallen. Nur heute, heute hat er etwas Merkwürdiges gesagt. ›Hat Axel etwa jetzt schon ein Verhältnis?‹, hat er gefragt.“ Rike runzelte die Stirn. „Ja, so hat er sich ausgedrückt. Merkwürdig, oder?“
    „Das kann alles und nichts bedeuten. Es kann heißen, dass er mal ’ne kurze Affäre hatte, von der du nie erfahren hast, es kann heißen, er kennt Männer, die so was immer brauchen, es kann heißen, dass er jetzt eine kleine Freundin hat oder in Erwägung zieht. Mach dir keine Sorgen, Rike, ich bin Expertin für diese Fragen und stehe dir mit Rat und Tat zur Seite.“ Rike ließ den Wein im Glas kreisen. „Ich werde ihn beobachten, Lotte. Aber Heiner ist heute Abend nicht das Thema, ich habe etwas viel Wichtigeres auf Lager.“
    „Die Geschichte deines alten Patienten?“ Lotte rümpfte die
    Nase. „Warum sollte die mich interessieren!“
    „Nur Geduld. Deine Mutter war eine verheiratete Weymoden, stimmt’s? Sie stammte, wie auch ihr gefallener erster Mann, aus Ostpreußen?“
    „Das weißt du doch alles“, bestätigte Lotte ungeduldig.
    „Warte. Lass mich die Vorgeschichte auf die Reihe bekommen, ich will keine Fehler machen.“ Rike runzelte die Stirn.
    „Deine Mutter hat nach ihrer Flucht zunächst in Niedersachsen gewohnt, dort ihren zweiten Mann, deinen Vater, kennengelernt und ist dann mit ihm nach Stuttgart gezogen, wo du geboren bist.“
    „Du machst es spannend.“ Lotte gähnte.
    „Es wird noch viel spannender! Der zweite Mann deiner Mutter hieß Zweigle …“
    Lotte setzte ihr Glas ab. „Zweigle! Dieser Name war für meine Mutter undenkbar. ›Ich bin eine ostpreußische Gutsbesitzerstocher, habe einen angesehenen Gutsbesitzer geheiratet und soll den Namen Zweigle annehmen?‹, sagte sie immer. ›Niemals!‹ Sie lebte mit meinem Vater in ›wilder Ehe‹; nicht nur wegen des Namens, sondern auch, weil die erste Frau meines Vaters verschollen war und erst Jahre später für tot erklärt werden konnte. Ich war fünfzehn, als die beiden doch noch heirateten – wegen der Rente, ist ja klar. Aber den Namen meines Vaters hat meine Mutter nicht angenommen.“
    „Dein Mädchenname war also immer Weymoden?“ Lotte hob die Augenbrauen. „Ist das so wichtig?“
    „Es ist der Knackpunkt der Geschichte“, erklärte Rike.
    „Oskar Billek, den ich als Grüne Dame seit einigen Wochen betreue, stammt ebenfalls aus Ostpreußen. Er wurde im Russlandfeldzug verwundet und nach einem Lazarettaufenthalt zur Genesung nach Hause geschickt. Als sich immer mehr Familien zur Flucht gezwungen sahen, wollte er nicht zurückbleiben, strandete aber schon nach vier Tagen auf eurem Gut. Es ging ihm so schlecht, dass deine Mutter ihm sagte, er könne bleiben, bis auch sie sich dem Treck anschließen würden.“ Rike hob den Kopf. „Mir als Nachkriegsgeborene war nicht klar, dass der ›Treck‹ aus vielen einzelnen Grüppchen bestand, die aus allen Richtungen kamen, zueinanderstießen und gemeinsam weiterzogen. Jedenfalls verbrachte Oskar neun Tage auf einem Gut namens Weymoden. Der Besitzer war an der Front, Frau Weymoden war wenige Monate zuvor Mutter von Zwillingen geworden. Zweieiige Jungs sind es gewesen, und …“
    „Dann muss es sich um unser Gut gehandelt haben!“, rief Lotte aufgeregt. „Hat er dir von meiner Mutter erzählt?“
    In diesem Augenblick klingelte das Telefon. „Nein!“, rief Lotte. „Nicht jetzt, wo du endlich zur Sache
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher