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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur
Autoren: Susanne Wahl
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dich und denk auch einmal an dich«, hatte Monika in ihrer unverblümten Art festgestellt. »Hast du dir überhaupt einmal Gedanken über dein Leben ohne sie gemacht? Das kommt – früher oder später, aber so sicher wie das Amen in der Kirche. Sieh die Dinge, wie sie sind: Sie wird auf jeden Fall vor dir sterben.« Energisch stülpte sie sich eine speckige Baseballkappe auf ihre feuerrot gefärbte Igelfrisur – sie erinnerte mich damit an eine Kaktusblüte, deren Auffälligkeit gleichzeitig Warnung ist, und sprang, mich mitziehend, von ihrem alten Ikea -Sofa auf. »Komm, ich zeige dir die Gärtnerei. Sie wird dir gefallen und dich ablenken.«
    Und ob sie mir gefiel! Ich beneidete Monika glühend um ihr Reich, mit dem sich mein bescheidener Garten nicht messen konnte. »Wenn ich nur so leben könnte wie du!«, hatte ich sehnsüchtig gewünscht, und Monika hatte mir einen kurzen verständnisvollen Blick zugeworfen und gemeint: »Das müsste sich einrichten lassen. Aber so viel wie deine Bank könnte ich dir natürlich nicht zahlen.«
    Wir fantasierten eine Weile über diesen Plan, ohne auszusprechen, dass Mutters Tod die Vorbedingung für seine Realisierung sein würde.
    Monika hatte die Gärtnerei von Alfons, dem Vorbesitzer, quasi geerbt. Der alte Herr, ein leidenschaftlicher Blumenliebhaber, hatte keine Verwandten, und seine junge Angestellte war innerhalb kurzer Zeit zu einer Art Tochter geworden. Energisch hatte sie seine unwirtschaftliche Geschäftsführung modernisiert, und von der Verbindung ihrer Geschäftstüchtigkeit und seiner Erfahrung hatte das Unternehmen so profitiert, dass man es nicht nur nach den Maßstäben der Banken als Erfolg bezeichnen konnte. Alfons hatte es ihr schließlich gegen eine bescheidene Rente überschrieben, war aber immer noch täglich in den Gewächshäusern und auf den Anbauflächen anzutreffen, wo er freundlich, aber bestimmt die Hilfskräfte anlernte. Ein kleiner weißhaariger Mann, mit gebeugtem Rücken wie eine Unbilden gewohnte Bergkiefer und mit runzligen, von ständigem Erdkontakt rauen Händen. »Dieser Daumen war nur einmal in meinem Leben sauber«, erklärte er mir fröhlich grinsend, als Monika mich ihm vorstellte, und hielt seine rechte Hand hoch, an der Erdspuren in jede Pore gedrungen waren und sie geradezu gegerbt hatten. »Das war, als ich mir die Blutvergiftung geholt habe. Da mussten sie in der Klinik über eine halbe Stunde daran herumschrubben.« Er schien stolz darauf zu sein.
    Die dicke Frau wollte tatsächlich zu uns. Kurzatmig keuchend nickte sie freundlich in die kleine Runde und stellte sich mir gegenüber ans offene Grab. Sie kam mir vage bekannt vor, aber ältere Damen sehen sich alle in gewisser Weise ähnlich. Sie atmete immer noch heftig, zog dezent ein Leinentaschentuch aus der Manteltasche und wischte sich damit über Stirn und Oberlippe. Der schwarze, wadenlange Mantel und der breitkrempige Hut schienen nicht allzu neu zu sein. Die ramponierte Hahnenfeder nickte im böigen Wind wie eine Wetterfahne. Ich musste lächeln, und die Frau lächelte überraschend herzlich zurück. Ihr Lächeln wärmte wie das Goldorange der üppigen Chrysanthemenkugeln, die mir in den letzten Wochen so oft die Sonne hatten ersetzen müssen. Neugierig versuchte ich sie einzuschätzen. Eine alte Freundin meiner Mutter? Kam sie mir deswegen bekannt vor? Oder nur eine Angestellte des Bestattungsunternehmens, die ihren Chef abholen wollte?
    Der Pfarrer schien zu spüren, dass der Neuankömmling die Kontinuität durchbrochen hatte und die Aufmerksamkeit auf sich zog, und kam zum Ende.
    Mit vor Kälte steifen Fingern griff ich nach der Schaufel, die der Bestatter mir auffordernd hinhielt, und ließ Sand aus dem bereitgestellten Behälter auf den Sarg rieseln. Offenbar hatten sie ihn nicht gesiebt, denn ich hörte deutlich kleine Steine dumpf auf dem Holz aufprallen. Es klang hohl, als sei er leer. Der Orchideenzweig, den ich hinterherwarf, segelte lautlos, drehte sich um die eigene Achse und kam direkt unterhalb des Gestecks auf. Die porzellanweißen Blüten schimmerten vor dem dunklen Hintergrund lebendig und geheimnisvoll. Vielleicht hatte Mutter meine Orchideen so verabscheut, weil sie perfekt und lebendig wirkten.
    Die Chrysanthemenfrau hatte einen kleinen Handstrauß aus weißen Nelken und Buchs mitgebracht. Sie ließ die üblichen drei Schaufeln auf Mutters Sarg fallen, warf den kleinen Strauß hinterher und neigte kurz den Kopf. Ohne sich weiter aufzuhalten, drehte
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