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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar
Autoren: Thilo Scheurer
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Volljährigkeit im Klosterinternat verbracht.
    Diesen Teil seines Lebens hatte Amstetter immer verschwiegen. Jedenfalls stand nichts davon in seinem Lebenslauf. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Angaben bei seiner Einstellung nachzuprüfen. Seit einigen Tagen wussten sie, dass nichts davon der Wahrheit entsprach. Wo sich Amstetter die Jahre nach dem Internat tatsächlich aufgehalten hatte, bis er Ende der neunziger Jahre die Stelle als Leiter der Kriminaltechnik antrat, würde kaum zu klären sein.
    Die Erkenntnisse über das Kloster Benthal ergaben Schreckliches: Es gehörte zu jenen katholischen Klöstern, die wegen sexuellen Missbrauchsfällen derzeit im Licht der Öffentlichkeit standen.
    Über das, was Amstetter dort widerfahren war, konnte Treidler nur Vermutungen anstellen. Die Zeitungsausschnitte, die an der Wand neben dem Kruzifix geklebt hatten, zeigten einen zu kurzen Abriss seines Lebens.
    Die Dielen an der Türschwelle knarrten, und er fuhr herum. Melchior kam ins Büro.
    Um ihren Hals trug sie ein hellblaues Seidentuch. Die Ärzte hatten erklärt, dass die Verletzungen an ihrem Hals wahrscheinlich nie ganz verheilen würden. Sie würde ihr Leben lang Narben davontragen.
    »Sie haben mich ganz schön erschreckt«, brachte Treidler hervor, obwohl er gern etwas anders gesagt hätte.
    »Tut mir leid«, entgegnete sie mit leiser Stimme.
    »Was tun Sie denn heute hier? Mit Ihnen habe ich nun wirklich nicht mehr gerechnet.«
    »Die Schober hat mich angerufen und von dem Fax erzählt.«
    »Mich auch …«
    Die beiden schauten sich an, dann räusperte sich Melchior. »Und, ergibt sich etwas Neues aus dem Fax?«
    Treidler schüttelte den Kopf. »Nur das, was wir ohnehin schon vermutet haben. Amstetter hat einen Großteil seiner Kindheit in Benthal verbracht. Und was damals im Kloster vor sich gegangen ist, brauche ich Ihnen wohl nicht erzählen.«
    Melchior nahm das Fax in die Hand und überflog es. »Wunden können Monster erschaffen.«
    »Richtig. Und Amstetter wurden Wunden zugefügt, die nie mehr verheilen konnten. Egal, wie viel Zeit vergangen ist.«
    »Wem sagen Sie das. Die meisten Menschen tun das, was sie tun, nur wegen dem, was ihnen passiert ist.«
    Erneut schauten sich die beiden eine Zeit lang an, bis Treidler fragte: »Und Sie? Was werden Sie jetzt tun? Gehen Sie zurück nach Berlin oder – nach Hamburg?«
    »Mein Vorgesetzter hat bislang bestimmt, was ich zu tun habe. Das ist ein richtiges Scheißgefühl.«
    »Dann sollten Sie ihn loswerden. Oder warten, bis er tot ist. Aber das kann eine Weile dauern.« Treidler grinste.
    »Ich bin schon dabei, ihn mir vom Hals zu schaffen.«
    »Und wie?«
    Unerwartet nahm Melchiors Gesicht wieder jenen Ausdruck an, den er von ihr gewohnt war: energischer Blick und ein überlegenes Lächeln um ihren Mund.
    »Was ist?«, fragte Treidler.
    »Ich habe meine Versetzung beantragt.« Melchior strich über das Fax.
    »Wohin?«
    Sie schüttelte lange den Kopf. »Hat Ihnen eigentlich schon jemand gesagt, dass Sie das Feingefühl eines Elefanten besitzen?«
    »Hierher nach Rottweil?« Treidler hielt die Luft an und spürte, wie sein Herz schneller schlug.
    Sie nickte.
    »Welches Kommissariat? Sicher zu Winkler, oder?«, platzte es jetzt aus ihm heraus.
    »Nein«, erklärte sie.
    »Mensch, Melchior, machen Sie es doch nicht so spannend.«
    »Als Ihr Partner. Gleichberechtigt, versteht sich.«
    »Versteht sich.« Vermutlich hätte er noch etwas mehr dazu sagen sollen. Doch Gefühle preiszugeben, gehörte nicht gerade zu seinen Stärken.
    »Petersen hat bereits ein Wort für mich eingelegt«, fuhr Melchior fort. »Und mein Vorgesetzter im Dezernat für Interne Ermittlung hat seine Zustimmung signalisiert.«
    »So schnell?«
    »Es gab da so eine, wie soll ich sagen, kompromittierende Aufzeichnung eines seiner Wutausbrüche. Die hab ich ihm vorab zukommen lassen.« Melchior legte das Fax zurück auf Treidlers Schreibtisch.
    »Und jetzt?«
    »Was – und jetzt?«, fragte sie und machte ein überraschtes Gesicht.
    »Sollten wir uns nicht näher kennenlernen? Vielleicht einen Kaffee trinken oder so.«
    »Treidler.« Melchior legte den Kopf schief. »Ich weiß doch schon alles über Sie.«
    »Ich wusste nicht, dass mein Ruf bis nach Berlin reicht.«
    »Kein Ruf.« Sie grinste. »Es steht in Ihrer Akte. Und die hab ich schon vor Monaten gelesen.«
    »Verflucht …«, murmelte er leise.
    »Bitte?«
    »Nichts, ich hab nichts gesagt.«
    »Freuen Sie sich wenigstens ein
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