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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar
Autoren: Thilo Scheurer
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Rötlicher Nebel legte sich über seine Augen. Widerstandslos nahm er es hin und schaute dem Glitzern zu, bis sich schwarze Watte darüber legte.
    Irgendetwas holte ihn zurück in die Realität. Vielleicht war es das Vibrieren des Bodens, sein eigenes leises Stöhnen, oder einfach nur das Gefühl, genau in diesem Moment gebraucht zu werden. Wie aus einer fremden Welt drangen Geräusche an sein Ohr: Schreie, dann Stöhnen und plötzlich überflutete ein Adrenalinschub seinen Körper.
    Treidler wälzte sich auf die Seite und zog die Beine an. Seine linke Hand fühlte sich an, als ob Tausende Nadeln darin steckten. So schnell wie möglich musste er diese verfluchten Handfesseln loswerden. Er schaffte es, die Ellenbogen wenigstens so weit anzuwinkeln, dass er seine Hände mit der Drahtfessel vor sich sah.
    Der Daumen der linken Hand stand unnatürlich zur Seite. Vermutlich war das Gelenk ausgekugelt oder gar gebrochen. Vorsichtig bewegte Treidler die Hände, versuchte sie auseinanderzudrücken. Doch auf diese Art wurde er den Draht nicht los.
    Weit entfernt nahm er Melchiors Röcheln wahr. Es wurde leiser, gleichförmiger und ruhiger – zu ruhig. Ihr Kampf ums Überleben verlor zusehends an Kraft. Sie würde gleich ersticken. Er musste sich beeilen.
    Treidler atmete tief durch, schloss die Augen und schlug die Handgelenke mit den Daumen voran auf seine Stirn. Ein brennender Schmerz durchfuhr das Gelenk. Als er die Augen wieder öffnete, tanzten Tausende Lichtpunkte auf seiner Netzhaut. Nur allmählich klärte sich sein Blick. Der gebrochene Daumen stand nicht mehr ab, sondern hing wie ein Fremdkörper zwischen den beiden Handflächen. Durch den eingedrückten Daumensattel verkleinerte sich der Umfang so sehr, dass die Fessel kaum noch spannte. Treidler nahm den Draht zwischen die Zähne und zog ihn hoch. Sekunden später waren seine Hände frei.
    Er fasste sich in den Nacken und ertastete einen Holzknebel von der Länge eines Stiftes, der in einer Metallschlaufe steckte. Um seinen Hals lag eine Art Garrotte.
    Treidler ertastete den Draht an seinen Füßen. Mit wenigen Handgriffen löste er den Knoten. Keuchend stemmte er sich auf die Knie und erhob sich.
    Die weiße Kutte bedeckte einen großen Teil von Melchiors Körper. Sie lag bäuchlings unter Amstetter, der nur halb bekleidet war. Seine beharrten Beine bis hoch zu den Oberschenkeln waren zu sehen. Melchior schlug um sich. Immer wieder traf ein Ellenbogen den Rücken ihres Peinigers. Vor Anstrengung und Erschöpfung hatte sich ihr Gesicht tiefrot gefärbt. Amstetter musste es irgendwie geschafft haben, ihr die Drahtschleife um den Hals zu legen. Nur mit der Hand konnte sie bisher verhindern, dass der dünne Draht ihr in den Hals schnitt. Doch das scharfe Metall hatte eine tiefe Wunde in ihre Handfläche geschnitten. Und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ersticken würde. Denn Amstetters Faust umklammerte einen Holzknebel, wie er auch um Treidlers Hals lag – und er drehte den Draht weiter zu.
    Der Bodenbelag unter seinen Füßen glitzerte wie Silber. Treidler griff nach einer Glasscherbe, die beinahe aussah wie eine Messerklinge. Doch schon beim ersten Schritt knickte er ein. Seine Beine waren von den Füßen bis hoch zu den Knien taub. Die Fesseln um seine Knöchel hatten dafür gesorgt, dass das Blut nicht richtig zirkulieren konnte.
    Mit dem Kribbeln, das seine Beine befiel, wurde ihm bewusst, dass er Melchior nicht mehr hören konnte. Nur noch Amstetters Keuchen drang an sein Ohr. Treidler schob sich auf den Knien vorwärts. Jeder Meter auf den Splittern kostete unendliche Energie. Doch er durfte jetzt nicht aufgeben.
    Er erreichte Amstetters nackte Füße, holte aus und stach mit der Glasscherbe zu. Als ob er einen Stein getroffen hätte, zerbrach sie. Lediglich ein daumennagelgroßer Splitter blieb in seiner Haut stecken, und etwas Blut drang aus der Wunde unterhalb seines Knöchels.
    Amstetter schrie nicht. Es war, als ob er etwas Lebloses getroffen hatte. Treidler schaute auf, suchte Melchiors Blick. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie zur Seite. Ihre Lippen schimmerten bläulich, und helle Flecken zeigten sich um Mund und Nase. Sie rührte sich nicht.
    Treidler stützte sich mit den Armen von Boden ab und warf sich nach vorne. Jetzt war er Amstetter so nahe, dass er ihn mit den Armen erreichen konnte. Treidler ballte die rechte Faust und schlug mit aller Macht zu. Und diesmal verfehlte er sein Ziel nicht. Er traf Amstetter hart hinter dem
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