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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar
Autoren: Thilo Scheurer
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zu Amstetter. Das viele Blut auf seiner Kutte sah aus wie schwarze Farbe. Noch immer umklammerte eine Faust den Holzknebel der Garrotte. Treidler riss seinen Blick los. Die wuchtigen Stoffsessel standen auf einem Teppich aus glitzernden Glasscherben. Einige Strähnen der blonden Perücke ragten über eine der Armlehnen. Die Gummipuppe und den Hosenanzug konnte er nicht sehen. Lediglich die tanzenden Schatten auf der Wand ließen erahnen, dass beides als dickes Knäuel auf dem Boden davor lag.
    Das flackernde Kerzenlicht ließ keine Ruhe in ihm aufkommen. »Wie haben Sie mich eigentlich gefunden?«, fragte er schließlich.
    »Die Schober …«
    »Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
    Melchior reagierte nicht.
    »Das heißt nicht, dass ich Ihre Spitzelei jemals billigen kann. Aber mir ist klar geworden, dass Sie es gestern Abend nur gut gemeint haben. Und gerade eben haben Sie mir das Leben gerettet.«
    »Möglicherweise«, entgegnete sie.
    »Dafür sollte ich wohl Danke sagen.«
    »Dann sind wir quitt …« Melchior versuchte zu schmunzeln.
    »Klar.« Treidler nickte. »Aber jetzt sollten wir besser die Kollegen rufen.«
    »Mit ›wir‹ bin wohl ich gemeint.« Melchior kramte nach ihrem Mobiltelefon.
    »Nein, ich kann anrufen.«
    »Sicher könnten Sie das, werden Sie aber nicht.« Sie drückte eine Taste und hielt sich das Gerät ans Ohr. »Ich hab schließlich das Telefon mit der Wahlwiederholung.«

Epilog
    Der Dreikönigstag präsentierte sich annähernd so warm wie der Vorfrühling im Februar. Falls die Temperaturen weiter so schnell stiegen, würden bald die ersten Schneeglöckchen blühen. Schnee gab es allenfalls noch an den Stellen, die ganztags im Schatten lagen.
    Lediglich die nächtlichen Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt sorgten dafür, dass niemand an der Jahreszeit zweifeln mochte. Vielleicht war an der Klimaerwärmung doch etwas dran, dachte Treidler, als er in den Fugen der Pflastersteine keinen Schnee mehr entdeckte.
    Trotz des Feiertages überquerte er schon kurz vor neun den Vorhof zur Polizeidirektion. Eigentlich hatte er erst am kommenden Montag wieder mit der Arbeit beginnen wollen. Vieles würde im neuen Jahr anders sein als in den letzten Monaten. Der Mord an seiner Frau war aufgeklärt und er rehabilitiert. Niemand konnte mehr an seiner Unschuld zweifeln. Auch Winkler nicht, obwohl Treidler dessen Meinung nicht im Geringsten interessierte.
    Hatte ihn früher die sonst so allgegenwärtige Angst vor der Einsamkeit ins Büro getrieben, so war es heute eine nie da gewesene Langeweile. Als sich schließlich noch Anita Schober bei ihm gemeldet hatte und berichtete, vom Kloster Benthal sei ein Fax eingetroffen, hatte er beschlossen, dem Nichtstun ein Ende zu setzen.
    Er erreichte den Eingang und betrachtete einen Moment lang sein Spiegelbild in der Glasfläche der Tür. Sofort drängte sich die Erinnerung an den riesigen Spiegel in Amstetters Wohnung in sein Bewusstsein.
    Die Quetschung an seinem Hals schimmerte nur noch schwach, und die Wunden an Händen und Unterarmen waren nahezu verheilt. Lediglich Daumen und Ballen seiner linken Hand steckten in einer Gipsschiene.
    Als er einen Stock höher das Büro betrat, fiel sein Blick auf Melchiors leeren Schreibtisch. Nichts zeugte davon, dass vor gar nicht allzu langer Zeit jemand hier gearbeitet hatte. Ihr Telefon fehlte, und der Computermonitor stand nicht mehr an seinem Platz. Eine unbenutzte Steckdosenleiste lag auf der Tischplatte. Die Weihnachtstage hatten sie beide im Krankenhaus verbracht und seither hatten sie sich nicht mehr gesehen. Treidler dachte manchmal, ob er sie einfach anrufen sollte. Schließlich wusste er von Anita Schober, dass Melchior an Silvester zwar das Büro ausgeräumt hatte, aber immer noch in ihrer Frühstückspension in der Rottweiler Innenstadt wohnte.
    Auf seinem Schreibtisch entdeckte er das Fax vom Kloster Benthal. Dabei hätte er sich gewünscht, etwas anderes zu finden: einen Zettel, einen Hinweis, irgendetwas von Melchior. Treidler überflog das zweiseitige Schreiben.
    Wie er schon vermutet hatte, handelte es sich bei dem Jungen mit der Engelsstimme um Berthold Amstetter, den die eigene Mutter Anfang der achtziger Jahre in das klösterliche Internat Benthal gesteckt hatte. Warum, würde wohl für immer ihr Geheimnis bleiben.
    Seit damals galt sie als verschollen. Das hatten Nachforschungen in Amstetters Geburtsort ergeben. Ihr Sohn hatte die darauffolgenden acht Jahre bis zu seiner
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