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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar
Autoren: Thilo Scheurer
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Ohr. Wie vom Blitz getroffen ließ der die Garrotte los, fasste sich an den Hinterkopf und rutschte von Melchiors Körper zur Seite. Ein lauter Schrei und sein schmerzverzerrtes Gesicht zeugten davon, dass sich die Heliumflasche in seine Rippen bohrte.
    Kaum merklich hob und senkte sich Melchiors Brustkorb. Treidler legte die Hand auf ihren Oberkörper. Sie atmete – sie lebte. Fast zu spät wandte er seinen Blick wieder Amstetter zu. Der versuchte inzwischen seine Pistole zu erreichen, die seit Melchiors Fußtritt ganz in der Nähe lag. Treidler packte seine Hand und presste sie unter das Knie. Er richtete sich auf und schlug zu, wieder und immer wieder. Er hätte nicht sagen können, wie viele Male seine Fäuste Amstetters Gesicht trafen. Aufgeplatzte Augenbrauen und geschwollene Wangenknochen zeugten davon, dass vorerst keine Gegenwehr mehr zu erwarten war. Der Mann unter ihm hatte das Bewusstsein verloren. Treidler ließ sich erschöpft zur Seite fallen.
    Wie lange lag er auf dem Boden? Die Tür knirschte in den Angeln, und die Kerze flackerte im Luftzug. Er vernahm das Kratzen der Gasflasche auf dem Boden, dann ein beklemmender Schrei: »Amstetter!«
    Treidler fuhr auf. Neben ihm bekam Amstetter die Pistole am Türrahmen zu fassen und richtete sie blitzartig auf ihn. Treidler starrte in das schwarze Loch der Mündung, dann in Amstetters Gesicht dahinter. Sein Zeigefinger umschloss den Abzug, es war zu spät. Der eiskalte Stahl der Waffe und das Aufblitzen des Mündungsfeuers würden das Letzte sein, was er sah. Treidler schloss die Augen.
    Explosionen drangen an seine Ohren, schnell nacheinander abgefeuerte Schüsse. Er wartete auf die Schmerzen, das Eindringen der Geschosse in seinen Körper. Er hoffte, dass es schnell vorbeiginge. Doch nichts geschah. Abrupt verstummte der Lärm. Nur noch das Klicken eines Abzugsbügels war zu hören. Ähnlich dem Echo eines losgetretenen Steines, der eine Schlucht hinunterstürzte, drang das helle, metallene Geräusch in sein Bewusstsein. Treidler öffnete die Augen.
    Mit einem Blick, der wie erstarrt wirkte, saß Melchior an der Wand und betätigte immer wieder den Abzug ihrer Waffe. Amstetters Körper hing rücklings und seltsam verdreht über Treidlers Schienbein. Er regte sich nicht. Ein halbes Dutzend Schüsse hatten die Kutte zerfetzt und seinen Brustkorb getroffen. Blut rann über den weißen Stoff und tropfte zu Boden.
    »Melchior«, sagte Treidler leise.
    Sie reagierte nicht, sondern drückte weiter immer wieder den Abzugsbügel durch, obwohl das Magazin schon lange leer war.
    »Es ist vorbei. Hören Sie auf, Melchior … Es ist vorbei.« Treidler wusste nicht, wie er zu ihr durchdringen konnte.
    Das leere Klicken der Waffe wurde langsamer, bis es schließlich ganz erstarb. Nur zögerlich senkte Melchior den Arm, ohne dabei Amstetter aus dem Blick zu lassen. Erst als der Lauf der Waffe am Boden aufschlug, öffnete sich wie von selbst ihre Hand und gab die Pistole frei. Ein tiefer Schnitt zog sich über ihre gesamte Handfläche. Dunkles Blut quoll hervor und färbte ihre Hand und den Pistolenschaft rot.
    Treidler setzte sich neben sie und umschlang ihren zitternden Körper. Wortlos lehnte sich Melchior an seine Schulter und schloss die Augen. Für eine Weile genoss er ihre Wärme, ließ den Duft ihrer Haare auf sich wirken. Nur langsam ebbte das Adrenalin in seinem Körper ab.
    Im ersten Moment dachte er, dass er sich das Geräusch nur einbildete. Doch, da strömte Gas aus. Dann erstarrte Melchior in seinen Armen. Er riss die Augen auf und sah in ihr panisches Gesicht.
    »Es ist nur das Gas.« Treidler versuchte, sie zu beruhigen. »Das Ventil der Flasche hat sich beim Sturz gelockert.« Er beugte sich über Amstetter und kam dabei dem aufgeschwollenen Gesicht ganz nah. Der aufgerissene Mund schien einen stummen Schrei auszustoßen, und für einen Moment war es ihm, als ob die leeren schwarzen Augen jede seiner Bewegungen verfolgten. Doch der Körper lag tot am Boden, es gab in ihm nichts mehr, das leben konnte. Amstetters Herz hatte aufgehört zu schlagen.
    Treidler drehte das Ventil der Flasche zu. Mit einem letzten Zischlaut erstarb das Geräusch. »Ist alles okay mit Ihnen?«
    Melchior nickte. »Gibt das für Sie einen Sinn?«, fragte sie leise.
    »Was meinen Sie?«
    »Das alles hier. Die verdammte Wohnung, die Gummipuppe, Amstetters Aufzug mit der Gasflasche und der Kutte …«
    »Nichts von dem, was ich heute erlebt habe, ergibt einen Sinn.« Er schaute wieder
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