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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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Stereoanlage im Wandregal.
    »Kommen wir also zum nächsten Song«, sagt er und legt die CD mit dem Playback für »I know him so well« ein. Fiona ist als Erste dran. Sie fängt an und trifft sofort den richtigen Ton, singt ihre Strophe fehlerfrei und sauber, als hätte sie zu Hause bereits geübt, lächelt Corvin an, unterstreicht ihre Worte mit einstudierten Gesten. Sie wirkt perfekt, schon jetzt bühnenreif mit ihrer Stimme und ihrer glänzenden grünen Bluse, deren Farbe sich in ihren Augen widerspiegelt, der engen schwarzen Hose und den cognacfarbenen Stiefeln, deren Farbton sie mit einem locker um die Taille gebundenen Gürtel noch einmal aufnimmt. Aber sie singt ohne Emotionen, will nur gefallen, Erfolg haben. Ich versuche, in Corvins Gesicht zu lesen, was er über sie denkt, er hört ihr hoch konzentriert zu, wippt mit dem Fuß zu dem langsamen Takt, nickt. Als sie fertig ist, geht er auf sie zu und umarmt sie.
    »Bravo«, sagt er mit belegter Stimme. »Bravo, Fiona. Ganz großes Kino, wirklich.«
    Mein Herz fällt vor meine Füße und er scheint darauf herumzutrampeln. Ich bin dran, die zweite Strophe. Den Text habe ich verinnerlicht, genau wie die Aussichtslosigkeit der Liebe, von der darin die Rede ist, es ist ja meine eigene Geschichte. Ich kenne Corvin so gut, fühle mich ihm so nah, aber es nützt nichts, wir werden nicht mehr zusammenkommen, nie mehr werde ich mich in seine Arme fallen lassen können, seine Haut riechen, mit ihm lachen, sorglos und so frei wie der Adler in dem Song davor. In meinem Hals breitet sich ein enges Gefühl aus, das meine Stimme schrumpfen lässt, ich muss aufpassen, dass sie nicht bricht, ich atme an den falschen Stellen, danach singe ich an meinem Anschlusston vorbei. Irgendwie kämpfe ich mich durch meine Strophe und bin beinahe froh, als der Refrain beginnt; beim Wechselgesang mit Fiona fällt es nicht ganz so auf, wie schlecht ich bin. Zudem gibt Corvin zwei anderen Mädchen ein Zeichen, dass sie mich unterstützen sollen. Als wir fertig sind, legt er sein Songsheet weg.
    »Da müssen wir noch mal ran«, stellt er fest. »Das nächste Mal konzentrieren Sie sich bitte, Valerie, sonst wird das nichts. Halten Sie sich an Fiona, lassen Sie sich ein bisschen mitziehen von ihrer Begeisterung. Ansonsten müssen wir vielleicht doch noch wechseln.«
    »Das Schwein«, murmelt Manuel und nimmt meine Hand. »Der hat überhaupt keine Ahnung, du warst super.«
    Ich höre an seiner Stimme, dass er kein Wort davon so meint. Ich weiß selbst, wie schlecht ich war. Corvin stimmt noch einmal »Eagle« an, aber dieses Mal bewege ich nur meine Lippen und sehe kein einziges Mal zu ihm hin. Schräg vor mir singt Fiona und sieht aus, als ob sie gleich abhebt. Mein Handy vibriert in meiner Hosentasche. Jetzt siehst du, wie schlecht du bist ; lese ich. So was wie dich braucht er nicht. Aber keine Sorge, bald ist es vorbei. Eine Gänsehaut überläuft mich.
    Ähnliche Szenen wie in Musik spielen sich in diesen Wochen auch in den anderen Stunden bei Corvin ab, selbst in Englisch. Nichts, was ich zum Unterricht beitrage, findet seine Anerkennung, andere Mädchen hingegen lobt er für ganz normale richtige Antworten, vor allem Fiona. Er ahnt nicht, was mit mir los ist, von unserer Trennung einmal abgesehen, und ich kann es ihm nicht anvertrauen.
    »Ich weiß nicht, was mit Ihnen in letzter Zeit los ist, Valerie«, poltert er eines Tages, als ich auf eine direkt an mich gerichtete Frage zum Stoff keine Antwort geben kann. »Jeder Mensch hat mal Probleme, ist schlecht drauf oder frisch verliebt, so wie Sie im Moment anscheinend. Trotzdem müssen Sie irgendwann auch wieder Leistung abliefern. Es geht um Ihr Abitur, nicht um das Seepferdchen.« Er schüttelt den Kopf und wendet sich wieder den anderen zu, aber einige Minuten später, als alle über eine schriftliche Aufgabe gebeugt sitzen, fange ich seinen Blick auf. Ich kenne Corvins Augen, kenne sie besser als jeder andere hier im Raum, und was ich in ihnen lese, sind Traurigkeit, Sehnsucht und ein Stück begrabene Hoffnung.
    Ich will nicht, dass es so endet. Dass nichts zwischen uns stehen bleibt als diese Spaltung, die keiner von uns beiden gewollt hat und die wir doch, jeder auf seine Art, unausweichlich herbeigeführt haben.
    Ich muss ihn noch einmal sehen, beschließe ich in diesem Moment. Unter vier Augen. Auf keinen Fall kann ich nächste Woche mit dem ganzen Kurs nach England fahren, ohne dass wir vorher noch einmal allein miteinander reden
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