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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Autoren: Nora Luttmer
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Morgen sollten die Tageszeitungen die Suchmeldung drucken. »Das Volk« und »Neues Hanoi« würden Hoas Foto sogar auf die Titelseiten nehmen.
    Als Ly schließlich nach Hause kam, schlief Huong bereits in ihrem Bett. Minh saß, den Rücken gegen die Wand gelehnt, auf dem Boden. Neben sich ein leeres Schnapsglas und einen Aschenbecher, randvoll mit Kippen. Sein Kopf war zur Seite gesackt, alle paar Sekunden entfuhr ihm ein Röcheln, das tief aus der Kehle kam. Toller Aufpasser, dachte Ly und stieß ihn leicht mit dem Fuß an. Minh fuhr mit einem Ruck hoch. »Ach Ly, du bist es. Huong wollte unbedingt zu Hause schlafen. Deshalb habe ich sie hierhergebracht«, erklärte Minh.
    »Danke, auch dafür, dass du hiergeblieben bist.«
    Minh winkte ab. »Ich geh dann. Auch ich schlafe lieber in meinem eigenen Bett.«
    Ly begleitete seinen Freund die Treppe hinunter und durch den langen, fensterlosen Gang. Vorne an der Tür knipste er das Licht an. Funken flogen, und es zischte, dann war es stockdunkel. Es dauerte, bis Ly das Vorhängeschloss an der Gittertür aufbekam. Er zog die Tür nur so weit auf, dass Minh sich hindurchzwängen konnte. Von draußen fiel jetzt etwas Licht hinein. Ly öffnete den großen Werkstattschrank neben der Tür. Irgendwo mussten doch noch Glühbirnen sein.
    »Ruhe«, krächzte seine Mutter mit verschlafener Stimme. Das Licht musste bis zum nächsten Morgen warten.Ly schloss leise den Schrank, dann die Gittertür und tastete sich zurück zur Metallstiege.
    Oben setzte er sich auf die Bettkante und sah auf seine Tochter hinunter. Seit ihrem Besuch im Militärkrankenhaus 108 hatten sie nicht miteinander gesprochen. Was war er nur für ein Vater? Er nahm die Flasche Weißwein, die noch im Kühlschrank stand, und ein Glas und kletterte die Leiter auf das Dach hinauf. Es roch nach Regen. Eine daumengroße Kakerlake krabbelte zwischen den Blumenkübeln auf ihn zu, ihre langen Fühler schwenkten hin und her. In kleinen Schlucken trank Ly seinen Wein.
    Er meinte, ein metallenes Knacken vernommen zu haben und Schritte zu hören, konnte aber nicht sagen, woher sie kamen. Er drückte seine Zigarette auf der Mauer aus und lauschte. Niemand konnte von außen ins Haus kommen. Oder hatte er vergessen, die Tür abzuschließen?
    Die Kakerlake flog mit einem tiefen Brummen davon. Der Wind raschelte leise in den Blättern. Die Schritte waren verstummt.
    Kurz darauf knallte es. Ein Schuss. Ly sprang auf und brüllte nach Huong. Ohne weiter auf die Stufen der Leiter zu achten, sprang er durch die Dachluke hinunter in die Wohnung.
    »Papa, Papa, was war das?« Seine Tochter saß mit angsterfüllten Augen im Bett. Die Decke hatte sie mit beiden Händen vor die Brust gedrückt. Ihr war nichts geschehen. Der Schuss musste von der Straße gekommen sein. »Schätzchen, geh zu deinem Onkel runter und beweg dich dort nicht von der Stelle!«
    Er riss die große Schublade der Kommode auf und wühlte nach seiner Pistole. Sie war nicht da. Verdammt,wieso fand er sie nie, wenn er sie brauchte? Er griff sich in der Küche ein Messer und rannte die Treppe hinunter. Seine Schwägerin, die im Gang stand, schob er grob beiseite. Er versuchte, den Schlüssel in das Vorhängeschloss zu stecken. Von draußen hörte er ein leises Röcheln. Der Schlüssel fiel ihm aus der Hand. »Hallo, hallo, ist da draußen wer?«, rief Ly. Niemand antwortete. Er hörte weiter dieses Röcheln. Er rüttelte an der Tür. Laut fluchend tastete er den Boden nach dem Schlüssel ab, krabbelte auf allen vieren herum. Hätte er vorhin bloß eine neue Glühbirne eingedreht. Endlich fand er den Schlüssel in einer Ritze zwischen den angebrochenen Bodenfliesen und schaffte es, das Schloss zu öffnen. Mit Gewalt zog er die Gittertür auf. Er fiel fast über den kleinen Körper.
    Sie lag direkt vor der Tür, zu einem Knäuel zusammengesunken. Über ihrem Mund klebte ein transparentes Paketband. Die Lippen drückten verzerrt gegen das Plastik. Blut hatte sich durch den weißen Stoff der Bluse gefressen.
    »Krankenwagen«, schrie Ly. »Ruft einen Krankenwagen.« Er kniete sich auf den Boden, zog das Klebeband ab und griff nach der schlaffen Hand. Sanft strich er dem Mädchen über die Haare. »Ich werde ihn kriegen«, flüsterte er, wohl wissend, dass sie ihn nicht mehr hörte. Ihre Augen waren ins Leere gerichtet. Er musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien. Er nahm sie in die Arme und streichelte ihr über die Wangen. Wiegte sie, wie um sie zu trösten.
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