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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig
Autoren: Chris Ewan
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eins als Einbrecher lautet also, nie den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Eine gute Regel. Ausgezeichnet sogar. Weshalb ich bisher selten dagegen verstoßen habe.
    Für Hammett habe ich eine Ausnahme gemacht.
    Mein damaliger Klient war ein aufgeblasener alter Eton-Absolvent – ein großmäuliger Säufer, der ein riesiges, ausgedehntes Familienanwesen geerbt hatte, zu dem auch eine renommierte Bibliothek mit etlichen raren Exemplaren gehörte. Die Bibliothek interessierte den Banausen höchstens am Rande – ehrlich gesagt wusste ich aus zuverlässiger Quelle, dass er nur ein einziges Buch mit echtem Vergnügen las: den Wisden Cricketers’ Almanack. Seine ganze Leidenschaft galt einzig und allein dem Kricket, und so war ich als Mittelsmann angeheuert worden, ein besonderes Erinnerungsstück für seine Privatsammlung zu besorgen – einen Schläger, den ein ganz bestimmter Spieler in einem ganz bestimmten Testspiel benutzt hatte, worauf näher einzugehen ich allerdings nicht befugt bin. Wobei ich sicher nicht eigens erwähnen muss, dass ich den Schläger gestohlen habe und für meine Mühe fürstlich belohnt wurde. Doch als ich von der Bibliothek meines Klienten und deren Schätzen hörte, stand mein Entschluss fest, einzusteigen und mich etwas genauer umzuschauen.
    Etliche Wochen später, der Besitzer war gerade zu einem Landesmeisterschaftsspiel in Yorkshire unterwegs, setzte ich mein Vorhaben in die Tat um, und man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die Qualität der Sammlung alles, was ich mir vorher ausgemalt hätte, völlig in den Schatten stellte. Die größte Überraschung erwartete mich jedoch auf einem Regal ganz oben rechts, wo ich zufälligerweise einen vertrauten gelben Schutzumschlag erspähte, der mir von dort oben schelmisch zuzwinkerte. Etwas atemlos vor Aufregung schob ich die Leiter zu dem Regal und nahm das Buch herunter, drehte und wendete es in den Händen, schlug es vorsichtig auf und blätterte zu der ersten bedruckten Seite, wo ich zu meinem unendlichen Entzücken feststellte, dass mein Held dort höchstpersönlich und eigenhändig unterschrieben hatte.
    Am liebsten hätte ich das Buch auf der Stelle an mich genommen, ermahnte mich aber, dass das zu riskant sein könnte, und stellte das Buch widerstrebend an seinen Platz zurück. Von nun an konnte ich in den folgenden Tagen und Wochen an kaum etwas anderes denken. Tag und Nacht kreisten meine Gedanken darum, wie ich das Buch an mich bringen könnte. Das Bild, wie ich das Buch endlich in den Händen hielt, quälte mich den ganzen Tag und verfolgte mich bis in meine Träume. Ich hatte im Laufe meiner Karriere schon so einiges entwendet – manches für mich selbst, vieles für Kunden –, und größtenteils wirklich wertvolle Gegenstände. Aber erst beim Malteser Falken verstand ich, was es hieß, etwas unbedingt haben zu wollen. Ich war wie besessen von dem Buch. Ich brach also ein und ließ den Falken mitgehen, verließ aber gleich am nächsten Tag England in Richtung Festland; der Beginn meines Zigeunerlebens, das mich durch ganz Europa und noch viel weiter führen sollte.
    »Ach, ich schaffe das schon«, versicherte ich Victoria und gab mir Mühe, die Erinnerungen abzuschütteln, die ich gerade heraufbeschworen hatte.
    »Meinst du wirklich?«
    Ich griff nach ihrem Kinn und hob es mit dem Daumen an. »Tja, sag du ’s mir«, meinte ich in einem, wie ich hoffte, beiläufigen Tonfall. »Was hältst du davon, wenn wir nach Hause gehen, und du setzt dich an mein neues Manuskript?«
    Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. »Na, toll. Dann hängt also jetzt alles an mir.« Ich nahm sie an der Hand, schwang spielerisch ihren Arm vor und zurück und führte sie über den Platz auf das stahlgraue Wasser der Lagune zu. Rechts von uns erstreckte sich die weite offene Piazza, und zu unserer Linken lag der rosaweiß verschnörkelte, verspielte Dogenpalast. Beides interessierte mich herzlich wenig. Meine ganze Aufmerksamkeit galt den beiden gewaltigen Granitstelen vor uns am Eingang der Piazetta. Die Pfeiler rahmten den Blick über die Lagune hinüber zur Kathedrale San Giorgio Maggiore, und in vergangenen Zeiten hatte man hier Diebe und Gauner aufgeknüpft, als Abschreckung für andere, damit sie nicht ihrem schlechten Beispiel folgten. Und da stand ich nun, willentlich die Lehre ignorierend, die ich eigentlich daraus ziehen sollte, und überlegte mir schon, wie ich es anstellen könnte, nach Einbruch der Dunkelheit in den Buchladen
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