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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig
Autoren: Chris Ewan
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nämlich der Verdacht, dass wir uns gleich morgen Früh diesen Buchladen ansehen werden.«

Drei
     
    Meine Wohnung lag am Fondamenta Venier, ungefähr auf halber Strecke zwischen der Accademia di Belle Arti und der Peggy-Guggenheim-Sammlung im Stadtteil Dorsoduro. Traditionell ist dies das Viertel der Künstler und Schriftsteller, und in Anbetracht der Tatsache, wie teuer Venedig mitunter sein konnte, wusste ich mich glücklich zu schätzen, dass ich mir eine Wohnung in der Nähe dieses beliebten Stadtteils leisten konnte. Der große Nachteil, zumindest an diesem Morgen, war, dass ich auf der falschen Seite des Canal Grande wohnte. In der Nähe gab es nur eine einzige Möglichkeit, ihn zu überqueren – die hölzerne Ponte dell’Accademia.
    In der kühlen Morgenluft hing noch der Frost der letzten Nacht, der sich als glitzernder Kristallüberzug aus Raureif über Geländer und Holzbohlenstufen gelegt hatte. Ich trug Wollmütze, Schal und Fäustlinge zu meinem dicken Wintermantel. Die Fausthandschuhe waren ein Muss – draußen war es eisig kalt, und normale Fingerhandschuhe konnte ich nicht tragen, weil Ring- und Mittelfinger meiner rechten Hand leicht verkrümmt und übereinandergebogen sind. Ich leide unter Arthritis in den Fingergelenken, und das feuchte venezianische Wetter hatte nicht unbedingt zur Verbesserung meines Zustands beigetragen. Genauso wenig wie das ständige Tippen, das fürs Romanschreiben leider unerlässlich war. Aber hey, irgendwie kam ich zurecht, und Victoria hatte mir sogar ein Kompliment gemacht, was für hübsche Fäustlinge ich doch hätte – wobei sie etwas enttäuscht zu sein schien, dass diese nicht an den Ärmeln meines Mantels festgenäht waren.
    Apropos Victoria, die spazierte in Wildlederstiefeln, dunkler Jeans und roter Steppjacke neben mir über die Holzbrücke. Die untere Hälfte ihres Gesichts war hinter ihrem aufgestellten und mit Reißverschluss bis oben hin geschlossenen Mantelkragen verschwunden.
    »Weißt du, wo wir lang müssen?«, fragte sie mich.
    »Natürlich. Ich kenne mich inzwischen ganz gut aus.«
    »Dann möchtest du also nicht einen kurzen Blick auf meinen Stadtplan werfen?«
    »Bitte, Vic. Ich bin doch kein Tourist.«
    Unter uns wühlte der mit einer Armee von Passagieren tief im Wasser liegende Wasserbus das graugrüne Nass auf und schlug schaumige Wellen, während ein makellos geputztes Taxiboot an einem Kahn vorbeibrauste, der mit Gemüsekisten beladen zum Markt tuckerte. Weiter den Kanal entlang, jenseits einer Hand voll aus dem Wasser ragender Holzpfosten, waren eine Reihe Gondeln miteinander vertäut und mit blauem Segeltuch abgedeckt, und ihre geschwungenen schwarzen Bugseiten nickten einander schwerfällig zu wie Bohrinseln im Meer.
    »Ich brauche einen Kaffee«, sagte ich zu Victoria und musste ein Gähnen unterdrücken.
    »Gute Idee. Wo ist denn der nächste Starbucks?«
    »Banause. Pass auf, dass die Einheimischen das nicht hören.«
    Die Einheimischen drängelten sich allesamt in einer leicht überhitzten und etwas dunstigen Bar knapp jenseits des Campo San Maurizio. Ich ließ Victoria an der Tür warten, bahnte mir den Weg zur Theke und bestellte zwei Espressi, dann zog ich verstohlen meinen Stadtplan aus der Tasche und warf heimlich, versteckt hinter den Menschenmassen um mich herum, einen Blick darauf.
    Mein Stadtplan war dabei, sich vom ständigen Gebrauch in seine Bestandteile aufzulösen. Das Wachspapier war eingerissen und klaffte auseinander, dort, wo es einmal ordentlich gefaltet gewesen war. Die Karte hatte Eselsohren an den Ecken und war ausgefranst, und von der Giudecca fehlte ein ganzer Quadrant. Trotzdem hing ich irgendwie an dem Ding und sträubte mich, es einfach herzlos zu ersetzen. Während meiner ersten Zeit in Venedig hatte ich am eigenen Leib erfahren müssen, wie leicht man sich in den labyrinthischen Gassen und Wasserwegen der Stadt hoffnungslos verirren konnte, und mein treuer Gefährte war öfter, als ich zählen konnte, zu meiner Rettung geeilt.
    Auch diesmal ließ er mich nicht im Stich, und ich legte mir eine Route durch etliche Seitensträßchen zurecht, von denen ich glaubte, sie mir merken zu können. Dann stürzte ich meinen Kaffee mit einem Schluck herunter und brachte Victoria ihre Tasse. Sobald sie den Espresso ausgetrunken und mit der Hand vor ihrem Mund herumgewedelt hatte, als hätte sie gerade ein Gläschen Feuerwasser auf ex geschluckt, führte ich sie, ohne auch nur ein einziges Mal falsch abzubiegen, bis
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