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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig
Autoren: Chris Ewan
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heißen, Charlie? Du siehst auch nicht gerade aus wie ein dahergelaufener Dieb.«
    »Liegt womöglich daran, dass ich seit etlichen Monaten keiner mehr bin.«
    Was absolut der Wahrheit entsprach. Falls Sie es genau wissen wollen, es war exakt 279 Tage her (Tendenz steigend), seit ich das letzte Mal irgendwas gestohlen hatte. Ihnen mag das vielleicht nicht unbedingt erwähnenswert erscheinen, aber für mich war es eine beachtliche Leistung. Ich hatte mich als Einbrecher immer ganz ordentlich – wenn auch nicht immer vollkommen gesetzestreu – durchs Leben geschlagen, und diese alte Gewohnheit abzulegen hatte sich als echte Herausforderung erwiesen.
    Und dass ich solchen Spaß an meiner Arbeit gehabt hatte, machte die Sache nicht unbedingt leichter. Verwerflich, ich weiß, aber ich bekomme immer so ein wohliges Kribbeln, wenn ich in den Habseligkeiten fremder Leute herumschnüffele. Man braucht Köpfchen und Mumm, um die Schwachstellen eines Hauses gnadenlos auszunutzen, um sich Zutritt zu verschaffen und anschließend abzuzwitschern, ohne die geringsten Spuren zu hinterlassen. Ach ja, und dann besteht natürlich immer die Chance, und sei sie noch so verschwindend gering, eines Tages auf etwas zu stoßen, das die ganze Welt aus den Angeln hebt.
    Kurz und gut, es fiel mir nicht leicht, auf dem schmalen Pfad der Tugend zu wandeln, und um ganz ehrlich zu sein, hatte ich es bisher nur geschafft, der Versuchung zu widerstehen, weil ich meine ganze Energie in meinen neuen Roman gesteckt hatte. Wobei ich auch das ohne Zigaretten nie durchgehalten hätte. Und wo wir gerade von Zigaretten sprechen, jetzt schien mir genau der richtige Augenblick, die Schachtel von meinem Überseekoffer zu nehmen und mir eine anzustecken.
    »Mal ehrlich«, sagte Victoria zu mir, »ich finde, deine Putzfrau könnte wirklich als Täterin in Betracht kommen.«
    »Vergiss es.« Ich pustete Rauch ins Zimmer und versuchte mich dahinter zu verstecken, weil Victoria so ein verkniffenes Gesicht zog. »Die sieht nicht mal im Entferntesten so aus wie die Frau, die heute Nacht hier war.«
    »Das meinte ich ja auch gar nicht.« Pointiert wedelte sie den Rauch beiseite. »Es gibt nicht viele Menschen, die sich Bücher an die Wand hängen, oder? Und ein Engländer in Venedig, der so was macht – womöglich fand sie das so eigenartig, dass sie es irgendwann mal in einem Gespräch erwähnt hat.«
    »Möglich.«
    »Dann redest du also mit ihr?«
    »Möglich.«
    Ich rieb mir die Augen mit den Handballen, während sich der Qualm meiner Zigarette um meine Stirn kräuselte. Der alten Standuhr in der Zimmerecke zufolge ging es auf drei Uhr morgens zu, und langsam spürte ich die Müdigkeit in den Knochen. Ich war länger wach geblieben als beabsichtigt, um mir Notizen zu machen, und jetzt, wo mein Adrenalinspiegel langsam wieder sank, hatte ich Mühe, nicht auf der Stelle einzuschlafen. Womöglich hatte ich großes Glück gehabt. Wäre ich zu meiner normalen Schlafenszeit ins Bett gegangen, hätte ich meinen nächtlichen Eindringling vielleicht nie durchs Wohnzimmer poltern gehört.
    Stirnrunzelnd wendete ich diesen letzten Gedanken noch ein wenig hin und her. War das nicht eigenartig? Jetzt, wo ich so darüber nachdachte, schien sie wirklich ein Profi zu sein, denn ihr Abgang war makellos gewesen. Waghalsig , würde so mancher vielleicht sogar sagen. Ich für meinen Teil hatte mich noch nie aus einem Gebäude abgeseilt oder mir mittels eines Kletterseils Zutritt zu einem Haus verschafft. Gut, das Fenster war nicht abgeschlossen gewesen – hauptsächlich, weil es überhaupt kein Schloss hatte –, und trotzdem konnte es nicht gerade ein Kinderspiel gewesen sein, den Riegel von außen zu öffnen. Was den Schluss nahelegte, dass sie sich recht gut auskennen musste. Warum also die schweren Schritte und das Gepolter gegen die Möbel? Hatte sie es darauf angelegt, mich zu wecken? Hatte sie gewollt , dass ich sie sehe?
    Zunächst schien mir dieser Gedanke vollkommen abwegig, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr fand ich, es könnte was dran sein. Ein hundsgewöhnlicher Dieb wäre nur allzu froh, wenn man nicht merkte, dass irgendwas fehlte, bis er längst über alle Berge war. Sie aber hatte mich mit der Nase darauf gestoßen, was sie hatte mitgehen lassen, indem sie mir das Reklameblättchen für den Buchladen dagelassen hatte.
    »Was denkst du?«, fragte Victoria.
    »Ich denke, wir sollten ins Bett gehen«, sagte ich zu ihr. »Irgendwie beschleicht mich
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