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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig
Autoren: Chris Ewan
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herunterbaumelte. Sie hatte es am Dach festgebunden, was den Schluss nahelegte, dass sie von oben eingestiegen war. Kurz überlegte ich, mich ebenfalls abzuseilen, um sie zu verfolgen – ein Gedankengang, der zwangsläufig ins Leere laufen musste –, während sie einfach Gas gab und unter einer niedrigen, geschwungenen Brücke hindurch in Richtung Lagune verschwand und ihre blonden Haare in der dunstigen Dunkelheit flimmerten wie eine flackernde Kerzenflamme. In Sekunden war sie fort, und zurück blieben nur das aufgewühlte Wasser, der durchdringende Dieselgestank und der verebbende Motorenlärm, der sich an den Wänden der windschiefen Häuser ringsum brach.
    Widerwillig zog ich den Kopf zurück und schüttelte ihn etwas benommen, und als ich mich umdrehte, sah ich, wie Victoria, meine Freundin und Literaturagentin, gerade aus dem Gästezimmer kam und genau dasselbe tat. In gepunktetem Pyjama und flauschigen Hausschuhen kam sie hereingetappt, mit Haaren, die aussahen wie ein verunglücktes 80er-Jahre-Revival, und einem glänzenden Sabberfaden am Kinn.
    »Charlie?« Ohne sich den Mund zuzuhalten, gähnte sie herzhaft. »Was ist denn hier für ein Radau?«
    »Einbruch«, murmelte ich und rieb mir nachdenklich den Nacken.
    »Lieber Himmel. Fehlt irgendwas?«
    Wieder schaute ich etwas besorgt zu meinem Laptop, doch der stand nach wie vor auf dem Schreibtisch. Notizblöcke und Unterlagen lagen unangetastet daneben.
    »Nichts«, sagte ich. Doch dann wanderte mein Blick zu der leeren Wand über dem Schreibtisch, und mir krampfte sich schmerzhaft das Herz zusammen, als mir aufging, dass ich etwas übersehen hatte. Und wie da etwas fehlte. Und stattdessen lag etwas anderes da.

Zwei
     
    Man kann wohl ohne Übertreibung behaupten, dass die meisten Schriftsteller abergläubisch sind. Ich habe schon von Autoren gehört, die unbedingt mit ihrem Lieblingsstift schreiben müssen oder nur eine ganz bestimmte Papiersorte verwenden, und andere können erst dann einen neuen Roman beginnen, wenn sie ein bestimmtes Initiationsritual hinter sich gebracht haben – wie einen Halbmarathon zum Beispiel oder Zehennägelschneiden oder eine Scheidung. Ich persönlich habe zwei Marotten, von denen ich weiß. Zum einen muss ich erst in eine neue Stadt ziehen, ehe ich ein neues Buch beginne, und zum anderen hängt beim Schreiben stets meine gerahmte Erstausgabe des Malteser Falken über meinem Schreibtisch.
    Der Malteser Falke ist mein wertvollster Besitz. Er ist einen ordentlichen Batzen Geld wert – einen beinahe sechsstelligen Betrag, wenn man danach geht, was die letzte Erstausgabe bei einer Versteigerung gebracht hat –, was wohl auch erklärt, warum ich dieses Schätzchen in einem luftdichten Bilderrahmen verwahre. Viel wichtiger ist allerdings, dass ich noch nie etwas geschrieben habe, was zur Veröffentlichung geeignet gewesen wäre, ohne dass er über mich wachte. Ich habe es ein- oder zweimal versucht, um herauszufinden, ob ich den Bann brechen kann, musste aber jedes Mal einsehen, dass meine Einbrechergeschichten mir einfach nicht so locker flockig aus der Feder fließen wollen, wenn Sam Spade mir dabei nicht über die Schulter schaut. So verrückt es also klingen mag, Der Malteser Falke ist für mich so etwas wie ein Talisman geworden.
    Und nun war er fort, und statt seiner lag da bloß ein kleines rotes Kärtchen.
    »Was ist los?«, fragte Victoria. »Charlie?«
    Ich konnte nicht antworten. Mehr als ein verzweifeltes Wimmern brachte ich nicht heraus, und dann taumelte ich hilflos auf die leere Stelle an der Wand zu, an der Hammetts Roman einst gehangen hatte.
    »Verflixt noch mal, sag doch was.« Victoria schnippte mit den Fingern. »Was in drei Teufels Namen ist los?«
    Worauf ich nur verzweifelt mit der Hand über die Blümchentapete fuhr, als hinge noch etwas vom Zauber des Buchs daran. Dann winselte ich noch ein bisschen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dabei meine Unterlippe zitterte.
    »Ach herrje, Charlie«, seufzte Victoria. »Sag nicht, sie haben dein Exemplar des Malteser Falken mitgenommen.«
    Ich schluckte etwas von der ungefähren Größe und Konsistenz eines Kricketballs herunter, dann fand ich meine Sprache wieder.
    »Weg«, krächzte ich.
    »Weg?«
    Ich nickte.
    »Du verdammter Idiot. Ich habe dir doch gleich gesagt, du sollst ihn lieber wegschließen.«
    Nun muss ich zugeben, dass ich der felsenfesten Überzeugung bin, hätte jemand anders das gesagt, ich hätte den unwiderstehlichen Drang verspürt, den
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