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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig
Autoren: Chris Ewan
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Sie würde das vielleicht nicht so direkt zugeben, aber es war nicht zu übersehen, so wie sie sich gestern Abend aufgeregt hat.« Er unterbrach sich und musterte mich mit Argusaugen. »Sagen Sie mir jetzt nicht, Sie hätten das nicht gewusst.«
    Wie ein Goldfisch auf dem Trockenen nach Luft schnappend machte ich den Mund auf und klappte ihn wieder zu.
    »Sie wollen Ihre Herzensangelegenheiten wohl nicht mit einem alten Knacker wie mir besprechen, was? Tja, auch gut. Ich dachte bloß, Sie sollten wissen, was Sache ist.« Er räusperte sich, dann wisperte er hastig: »Es wäre wirklich nett, wenn Sie ihr nicht das Herz brechen.« Dann schaute er hoch und setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Zuckerfee, da bist du ja wieder.«
    Und Recht hatte er. Die Zuckerfee trat an unseren Tisch, und ihrem nicht gerade erfreuten Gesicht nach zu urteilen, hatte sie gehört, was ihr Vater zu mir gesagt hatte. In ihren Zügen spiegelte sich meine Panik wider. Ich suchte in ihren Augen nach einem Hinweis darauf, dass etwas Wahres an Alfreds Worten war. Aber ich konnte nichts entdecken. Oder ich konnte es nicht deuten. Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte.
    »Es ist was passiert«, sagte sie und hielt sich am Tisch fest, als der Zug mit kreischenden Bremsen zum Stehen kam. »Es war jemand in unserem Abteil. Schaut mal, das habe ich eben gefunden.« Womit sie mir ein in braunes Packpapier gewickeltes Päckchen vor die Nase hielt. Darauf war mit neonfarbenem Marker mein Name gemalt. Noch während sie redete, hörte ich, wie eine ganze Reihe Türen mit einem dumpfen Knall aufflogen. »Und der Aktenkoffer ist weg«, fügte sie hinzu.
    » Was?«
    Ich stemmte mich aus meinem Sitz hoch, schubste Victoria beiseite und rannte zum Ausgang des Speisewagens. Im Gang vor mir drängten sich Fahrgäste, die sich gerade mitsamt ihrem schweren Gepäck an Bord kämpften.
    » Scusi!« Unter Einsatz meiner Ellbogen bahnte ich mir einen Weg. » Scusi, per favore!« Schlechtes Italienisch und schlechte Manieren machten mich bei meinen Mitreisenden nicht gerade beliebt. Mir war das gleich. Mit sanfter Gewalt schob ich mich an einer ganzen Reihe Liegesitze vorbei, um mich dann durch ein Passagierknäuel am anderen Ende des Waggons zu quetschen. Aber als ich schließlich zu unserem Abteil kam, musste ich feststellen, dass Victoria tatsächlich Recht hatte.
    Der Aktenkoffer lag nicht mehr auf der Metallablage über der Tür neben der Reisetasche, und er war auch nicht in der Ablage über dem Fenster verstaut worden. Die Sitzbänke waren zu Schlafkojen ausgezogen, doch auf denen lagen bloß Decken und Kissen, und auch darunter war nichts von einem Aktenkoffer zu sehen.
    »Charlie, guck mal hier.« Victoria stand in der Tür. Sie hatte das Packpapier von dem Päckchen gerissen, und darunter kam etwas Knallgelbes zum Vorschein. Sie zog das Ding aus der Verpackung und reichte es mir, und als ich sah, was es war, verspürte ich den unwiderstehlichen Drang, es zu küssen. Es mochte zwar verkohlt und verfärbt sein, der halbe Schutzumschlag war verbrannt und eine Ecke der Seiten war nur noch ein Häuflein Asche, aber es war ganz zweifellos meins. Der Malteser Falke , eine Erstausgabe, signiert von einem gewissen Dashiell Hammett. Nicht mehr unbedingt in neuwertigem Zustand – alles andere als das – aber sicher noch immer in der Lage, seinen ganz besonderen Zauber auf mich auszuüben, wenn er erst wieder über meinem Schreibtisch hing.
    Ich hörte Türen zuschlagen, das grelle Trillern, als der Schaffner in die Pfeife blies, und dann das dumpfe, metallische Geräusch sich lösender Bremsen. Beim plötzlichen Anfahren hätte ich beinahe das Gleichgewicht verloren. Der Zug ruckte an, und ich sprang ans Fenster und drückte die Hände gegen die Scheibe.
    Wir glitten an einer erleuchteten Wartehalle vorbei, an einer Werbetafel mit einer Armani-Anzeige und einem Getränkeautomaten. Rollten vorbei an einer Bahnhofsuhr und einer Tafel mit in gelb angeschlagenen Abfahrtszeiten.
    Und dann schließlich sah ich sie. Mit ihrer platinblonden Perücke auf dem Kopf stand Graziella unter einer blauen Bahnsteinnummer, den Aktenkoffer fest an sich gedrückt. Remi stand dumm neben ihr, auf sein gutes Bein gestützt, die Hände tief in den Taschen seines Kamelhaarmantels vergraben, die Krempe des Fedora ins Gesicht gezogen.
    Lange sah ich ihn nicht an. Meine ganze Aufmerksamkeit galt Graziella. Ich überlegte, ob sie die Perücke vielleicht aus Gründen der Symmetrie
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