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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig
Autoren: Chris Ewan
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mit dem klirrenden Schlüsselbund in der Hand. Seine Augen waren gerötet, und darunter sah man tiefe Schatten und Tränensäcke. Die sonst so tadellos gekämmten Haare standen ihm wirr vom Kopf ab, und in den Mundwinkeln hatte er eine Kruste aus getrocknetem Speichel. Das karierte Hemd unter dem Pulli mit dem V-Ausschnitt war zerknittert, und der Kragen stand an einer Seite hoch und war auf der anderen heruntergeklappt. Er sah aus, als hätte er in seinen Sachen geschlafen.
    Traurig und resigniert schaute er von mir zu dem Gepäck in meinen Händen und meiner verschmutzten Kleidung. Dann lehnte er sich ein wenig zur Seite und begutachtete das geronnene Blut, das durch meine Haare gesickert und hinter dem Ohr am Hals heruntergelaufen war.
    »Wollen Sie verreisen?«, fragte er.
    Statt einer Antwort schluckte ich schwer. Viel mehr brachte ich nicht zustande.
    »Noch Zeit für einen Drink, ehe Sie gehen?« Er rauschte an mir vorbei und steckte den Schlüssel in seine Wohnungstür. »Ich könnte einen Scotch vertragen. Und Sie auch, wenn ich mir Sie so ansehe.«
    Selbst heute kann ich einfach nicht verstehen, warum ich ihm folgte, um dann mit meinen Koffern und Taschen dumm in seinem Wohnzimmer herumzustehen. Vielleicht hatte es mit den Nachwirkungen der Gehirnerschütterung zu tun. Seit Martin die Wunde an meinem Kopf so kritisch beäugt hatte, kam es mir vor, als pochte sie noch schlimmer als zuvor.
    Mit zwei angeschlagenen Tassen und einer langhalsigen Flasche kam er aus der Küche zurück. Womöglich bildete ich mir das nur ein, aber er wirkte ungesund dünn. Seine Wangen waren eingefallen, als hätte er seit Tagen nichts Ordentliches mehr gegessen.
    »Stellen Sie Ihre Sachen ab«, sagte er. »Und dann helfen Sie mir hiermit, ja?«
    Ich schaute mich kurz um, dann deponierte ich mein Gepäck neben einem Polstersessel und nahm die Becher entgegen, die er großzügig füllte.
    »Auf Ihre Gesundheit«, murmelte er und hob die Tasse.
    Der Alkohol kam mir ungefähr genauso gelegen wie der Schlag auf den Hinterkopf. Als Allerletztes brauchte ich jetzt etwas, das mir das Hirn noch mehr vernebelte, als es ohnehin schon war. Ich zögerte kurz, dann stürzte ich das Zeug hinunter. Es brannte in der Kehle, und ich krächzte wie ein Rabe – wobei ich zu allem Überfluss auch noch an Graziella denken musste.
    »Ach, das tut gut«, sagte Martin und schnalzte mit den klebrigen Lippen. »War eine unruhige Nacht.«
    Ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund und fragte mich, was um alles in der Welt ich sagen sollte. Ich wollte nichts lieber als schleunigst verschwinden, das Haus und die Stadt so weit wie möglich hinter mir lassen. Stattdessen beschränkte ich mich darauf, in die Untiefen meiner Tasse zu stieren.
    »Ich komme gerade aus dem Krankenhaus«, sagte Martin zu mir. »Drei Stunden mussten wir warten. Und das bei einer Frau in Anteas Alter – das ist doch kein zivilisiertes Land hier, oder?«
    Mein Kopf fuhr hoch. »Geht es ihr gut?«
    »Den Umständen entsprechend.« Er schürzte die Lippen. »Verständlicherweise hat sie Schmerzen. Das war nicht anders zu erwarten. Aber der Heilungsprozess macht mir Sorgen. Venedig ist eine denkbar ungünstige Stadt für eine Unterschenkelfraktur. Und ein Schlüsselbeinbruch ist immer heikel.« Sein Blick schien mich zu durchbohren. »Selbst waschen und anziehen kann man erst mal vergessen, was meinen Sie?«
    »Ich verstehe nicht ganz«, meinte ich kopfschüttelnd. »Was ist denn passiert?«
    Er schnaubte. »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    »Natürlich.«
    »Wollen Sie nicht lieber türmen, als sich das anzuhören?«
    Na ja, um ganz ehrlich zu sein, konnte ich es eigentlich gar nicht erwarten, endlich über alle sieben Berge zu sein. Aber das schien jetzt gerade nicht der richtige Moment, das laut auszusprechen.
    »Martin, ich weiß, das sieht jetzt wirklich schäbig aus.« Mit den Zehen schubste ich mein Gepäck an. »Und um ganz ehrlich zu sein, kann ich Ihnen die ganze Geschichte jetzt unmöglich erklären. Aber ich wollte ganz sicher nicht, dass Ihnen oder Antea etwas zustößt.«
    Er schnaubte indigniert. »Ist Ihnen eigentlich klar, wie gern Antea Sie hat?«
    Nein, darüber hatte ich bisher noch nie so richtig nachgedacht. Mir schien es angebracht, angesichts dieser Neuigkeit lieber nicht gleich in Ohnmacht zu fallen.
    »Ein eigenes Kind hatte sie nie«, knurrte er. »Ich bin einfach nicht der richtige Mann dafür, verstehen Sie? Antea ist es nicht leichtgefallen, das zu
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