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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig
Autoren: Chris Ewan
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Graziella mit dem Mord an den Freunden deines Vaters in Verbindung gebracht haben, aber er hat es vorgezogen, daraus Profit zu schlagen. Man kann ihn also wohl kaum als Heiligen bezeichnen.« Ich stockte, als ich Victorias entsetzten Gesichtsausdruck sah. »Aber wenn du meine Meinung dazu hören willst, ich glaube, Graziella war nicht in der Verfassung, irgendwen umzubringen. Deine Scherzzigarette hat ihren Teil dazu beigetragen, ganz zu schweigen davon, dass ich die Knarre mitgenommen habe. Und außerdem hat Remi sich als äußerst fähig erwiesen, Leute ausfindig zu machen. Ich könnte mir vorstellen, dass ihr diese Fähigkeit sehr gelegen kommt.«
    »Du meinst, sie könnten versuchen, es dir heimzuzahlen?«
    »Könnte sein.« Ich nickte und mied dabei angestrengt den Blick auf mein Spiegelbild in den dunklen Scheiben unseres Abteilfensters. »Aber dazu müssten sie mich erst mal finden. Was wissen die schon? Genauso gut könnte ich das Geld schon samt und sonders verpulvert haben, bis sie mich aufgespürt haben. Und was sollte mich davon abhalten, zur Polizei zu gehen? Gut, das würde zwar kein allzu schmeichelhaftes Licht auf mich werfen, aber die beiden stünden wesentlich schlechter da.«
    »Meinst du wirklich, die lassen die Sache einfach auf sich beruhen?«
    »Am Bahnhof habe ich sie jedenfalls nicht gesehen, du etwa?«
    Sie haute sich mit der Faust auf die Hüfte. »Aber ich mache mir Sorgen, Charlie.«
    »Brauchst du nicht. Das ist nicht gut für den Blutdruck. Obwohl, wenn es dir dann besser geht, ein Ass habe ich noch im Ärmel.«
    Wobei, im Ärmel stimmte nicht ganz – genau gesagt war es in der Gesäßtasche meiner Jeans. Ich zog das Ding heraus und hielt es Victoria zwischen Zeigefinger und Daumen vor die Nase.
    »Heiliges Kanonenrohr! Das ist mein Diktiergerät.«
    »Stimmt auffallend.« Ich spulte etwas zurück, dann drückte ich Pause und dann Wiedergabe . Graziellas Stimme war zu hören. Sie klang zwar etwas blechern, wie ich zugeben muss, war aber deutlich zu verstehen. Mit dem Daumen drückte ich auf die Stopp -Taste. »Das hatte ich dabei, als ich noch mal in den Buchbinderladen gegangen bin«, erklärte ich. »Der kleine Sender im Deckel der Pfefferspraydose war stark genug, jedes einzelne Wort von Graziella aufzuzeichnen. Jedes einzelne belastende Wort.«
    Victoria griff nach dem Diktiergerät, und ich reichte es ihr, dann drehte ich mich zu Alfred um und tätschelte ihm das Knie. »Hunger?«, fragte ich. »Wie ein Bär«, entgegnete er.
     
    Das Essen war erstaunlich gut. Der Speisewagen war hell und luftig und wirkte wie ein schützender Kokon vor der schimmernden Dunkelheit jenseits des Fensters. Wir gönnten uns ein Drei-Gänge-Menü, gefolgt von einer feinen Käseauswahl, und dazu einen sehr passablen Weißwein aus Venetien. Gut, es war zwar nicht der Orient Express, aber ich spürte, wie Anspannung und Stress der vergangenen Tage sich allmählich in Wohlgefallen auflösten, während der Zug durch die weite Landschaft um Vicenza ratterte, vorbei an einigen kleinen Bahnhöfen und gelegentlich der einen oder anderen Schnellstraße folgend.
    Ich ließ gerade den Käse ein wenig sacken und beobachtete das hypnotische Auf und Ab der Stromleitungen entlang der Schienen, als Alfred den Sitz mir gegenüber zurücklegte, die Hände bequem hinter dem Kopf verschränkte und mich mit einem ausgiebigen Gähnen fragte, wo ich denn nun hinwolle.
    »Weiß ich noch nicht so genau«, erwiderte ich, und wenn ich ehrlich bin, fand ich meine Antwort alles andere als beruhigend. Ich bin zwar ein Wandervogel, aber normalerweise überlege ich mir vor der Abreise, wohin die Wanderschaft gehen soll. »In Paris kann ich nicht lange bleiben – das musste ich vor ein paar Jahren mal hoch und heilig versprechen –, aber ich würde trotzdem gerne bei Pierre vorbeischauen und fragen, ob er einen guten Tipp für mich hat, wie ich meinen Anteil des Geldes anlegen könnte. Sie wissen ja selbst, wie schwierig es heutzutage sein kann, ein Bankkonto zu eröffnen und einen größeren Barbetrag einzuzahlen, aber er kann mir bestimmt einen Rat geben. Und danach, wer weiß?«
    »Nun, haben Sie schon mal an Asien gedacht? In meinem Team könnten wir einen Mann wie Sie gut gebrauchen.«
    Ich lächelte. »Ich fühle mich sehr geschmeichelt, Alfred, aber ich denke, das Ziel meiner Reise liegt woanders.«
    Victoria saß mit Kopfhörern auf den Ohren neben mir, die an das kleine Diktiergerät angeschlossen waren. Ich zupfte einen
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