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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot
Autoren: Qiu Xiaolong
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Beweis bürokratischer Effizienz überraschte Yu nicht. Als Schriftstellerin und Dissidentin war Yin sicher seit langem das Objekt geheimpolizeil i cher Überwachung gewesen.
    Die Akte enthielt ein Photo von Yin: eine bambusdü r re, großgewachsene Frau Mitte Fünfzig mit hoher Stirn und ovalen, tiefliegenden, traurigen Augen, die ihn durch eine silberumrandete Brille ansahen. Sie trug eine schwarze Mao-Jacke und passende schwarze Hosen.
    Yin hatte ihren Universitätsabschluß 1964 in Shanghai gemacht. Aufgrund ihrer politischen Aktivitäten während des Studiums war sie in die Partei aufgenommen worden und hatte eine Stelle als politische Instrukteurin an der Universität erhalten. Statt zu unterrichten, hielt sie polit i sche Vorträge und g ab Schulungen. Das galt damals als vielversprechender Start; sie konnte als Parteikader rasch aufsteigen und mit Intellektuellen arbeiten, die ja bestä n dig der politischen Indoktrination bedurften.
    Als die Kulturrevolution ausbrach, schloß sie sich, wie so viele junge Leute, den Roten Garden an, um Maos Ruf nach der Abschaffung alles Rückständigen zu folgen. Mit Begeisterung kritisierte sie die konterrevolutionären rev i sionistischen »Monster« und gehörte bald zu den führe n den Mitgliedern des Revolutionskomitees ihrer Univers i tät. In dieser neuen Machtposition verpflichtete sie sich dazu, »die permanente Revolution unter der Diktatur des Proletariats« voranzutreiben. Damals kam ihr nicht in den Sinn, daß sie selbst bald unter die Räder dieser pe r manenten Revolution kommen würde.
    Nachdem der Vorsitzende Mao Ende der sechziger Jahre schließlich seine ehemaligen politischen Widers a cher aus dem Weg geräumt hatte, befand er, daß die R o ten Garden der Konsolidierung seiner Macht im Weg standen. So gerieten sie selbst in die Schußlinie. Auch Yin wurde kritisiert und von ihrem Posten im Revolut i onskomitee der Universität entfernt. Man schickte sie in eine Kaderschule aufs Land. Dies war eine neue, von Mao an einem Maimorgen ins Leben gerufene Institut i on. Die Kaderschulen des 7. Mai sprossen daraufhin in allen Landesteilen aus dem Boden, unter anderem zu dem Zweck, politisch unliebsame Elemente unter Ko n trolle zu bringen oder aus dem Weg zu schaffen.
    Die Kaderstudenten teilten sich in zwei Gruppen. Bei der ersten handelte es sich um ehemalige Parteikader. Ihre Positionen waren inzwischen von noch stärker links gerichteten Maoisten eingenommen worden, und man wußte nicht, wohin mit ihnen. Die andere bestand aus Intellektuellen wie Universitätsprofessoren, Schriftste l lern und Künstlern, die ebenfalls in das Kadersystem i n tegriert gewesen waren. Man erwartete von solchen K a derstudenten, daß sie sich selbst durch harte Landarbeit und politische Schulungsgruppen umerzögen.
    Yin paßte als Universitätsdozentin und Parteimitglied in beide Kategorien. In der Kaderschule wurde ihr die Leitung einer Gruppe zugewiesen. Dort trafen s ich Yin und Yang zum ersten Mal. Yang, der um einiges älter war als Yin, war Professor an der Ostchinesischen Un i versität gewesen. Er hatte einige Zeit in den Vereinigten Staaten verbracht und war in den frühen fünfziger Jahren zurückgekommen. Bald darauf wurde er auf die Liste der »nur unter Kontrolle Einsetzbaren« gesetzt, Mitte der Fünfziger wurde er dann zum Rechtsabweichler und in den Sechzigern zum »schwarzen Monster« deklariert.
    Yin und Yang hatten sich trotz ihres Altersunte r schieds, trotz der »revolutionären Zeiten« und entgegen allen Warnungen durch die Autoritäten der Kaderschule ineinander verliebt. Wegen ihrer unzeitgemäßen Liaison waren sie persönlicher Verfolgung ausgesetzt. Kurz da r auf war Yang gestorben.
    Nach der Kulturrevolution kehrte Yin an ihre Unive r sität zurück und schrieb das Buch Tod eines chinesischen Professors, das im Shanghaier Literaturverlag erschien. Obgleich als Roman bezeichnet, war es ein weitgehend autobiographischer Text. Da man zunächst nichts wir k lich Neues oder ungewöhnlich Tragisches an dem Buch fand, verkaufte es sich schlecht. In jenen Jahren waren so viele Menschen zu Tode gekommen, und einige meinten auch, es stünde Yin, als ehemaliger Rotgardistin, nicht zu, die Kulturrevolution zu kritisieren. Erst nachdem ein ausländischer Gastdozent der Universität es ins Englische übersetzt hatte, wurden Regierungskreise darauf au f merksam.
    Offiziell war nichts dagegen zu sagen, daß jemand die Kulturrevolution kritisierte. Auch die
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