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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot
Autoren: Qiu Xiaolong
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Peiqin. Während ihrer fünfzehnjä h rigen Ehe hatten sie ständig Händchen gehalten und g e redet, geredet, geredet, wie es in einem modernen Schl a ger hieß. Sie waren sich während der Kulturrevolution als landverschickte Jugendliche in Yunnan nähergeko m men und hatten diese Nähe auch als eines von Millionen gewöhnlicher Ehepaare in Shanghai nicht verloren. Doch in letzter Zeit wirkte sie verschlossen.
    Er konnte das durchaus verstehen. In all den Jahren hatte er im Vergleich zu ihr wenig in den Haushalt eing e bracht. Es war nicht zu leugnen – und manchmal schwer zu verschmerzen – , daß Peiqin als Buchhalterin in einem Restaurant mehr verdiente als er bei der Polizei. Und diese Kluft hatte sich in den letzten Jahren noch vergrößert, da Peiqin immer wieder Prämien erhielt, ganz zu schweigen von den kostenlosen Delikatessen, die sie aus dem Resta u rant heimbrachte. Die Nachricht von der neuen Wohnung hatte ihn momentan etwas besser dast e hen lassen. Sie war ganz aus dem Häuschen gewesen und hatte allen von der neuen Wohnung erzählt, die ihm wegen seiner »he r vorr a genden Leistungen« zugesprochen worden war.
    Während die Zigarette zwischen seinen Fingern heru n terbrannte, fiel ihm auf, daß sie seit Erhalt der schlechten Nachr ic ht kaum etwas gesagt hatte. Für sie war es ein weiteres Zeichen dafür, daß es ein einfacher Polizist in der heutigen Gesellschaft kaum zu etwas bringen konnte.
    Als sein Vater, der Alte Jäger, noch aktiv gewesen war, hatte man sich als Polizist wenigstens als Teil der »Diktatur des Proletariats« verstehen können und g e wußt, daß man materiell allen anderen Mitgliedern dieser egalitären Gesellschaft gleichgestellt war. Doch in den neunziger Jahren war alles anders geworden: Man war nur so viel wert, wie man besaß. Nicht umsonst hatte G e nosse Deng Xiaoping gesagt: »Laßt einige schneller reich werden als andere.« Und so geschah es. Wer in dieser sozialistischen Gesellschaft reich wurde, der erntete d a für zugleich Anerkennung. Für solche dagegen, die trotz harter Arbeit nicht reich wurden, hatte die Volkszeitung keinen Kommentar übrig.
    Als pflichtbewußter Polizist verfügte Hauptwachtme i ster Yu trotz seiner gut vierzig Jahre noch nicht über e i genen Wohnraum. Das einzige Zimmer, das er mit Pe i qin und dem gemeinsamen Sohn Qinqin seit ihrer Rüc k kehr in die Stadt in den frühen achtziger Jahren bewoh n te, war ursprünglich das Eßzimmer in jenem Flügel des Hauses gewesen, den man Anfang der Fünfziger dem Alten Jäger zugewiesen hatte.
    Peiqin hatte sich nicht wirklich beklagt, doch ihr Schweigen nach dem Wohnungsfiasko sprach Bände. Einmal allerdings hatte sie seine Hingabe an die Polize i arbeit doch in Frage gestellt, wenn auch nicht direkt. Jetzt, in Zeiten »wirtschaftlicher Reformen«, war es den Leuten möglich, eigene berufliche Entscheidungen zu treffen, auch wenn das mit Risiken verbunden war. Als Polizist hatte Yu seine »eiserne Reisschale«, was in M a os kommunistischem Utopia lebenslange Absicherung bedeutet hatte. Die eiserne und damit unzerbrechliche Reisschale stand für dauerhafte Anstellung, garantiertes Einkommen, medizinische Versorgung und Lebensmi t telmarken. Doch mittlerweile schien eine solche eiserne Reisschale offenbar nicht mehr so erstrebenswert zu sein. Geng Xing, einer von Peiqins f rüheren Kollegen, hatte gekündigt, um ein eigenes Restaurant aufzumachen, und – so behauptete zumindest Peiqin – verdiente damit fünf-bis sechsmal soviel wie in einem staatlichen R e staurant. Yu erinnerte sich, daß Peiqin ihm Geng Xings Geschic h te mit der offenkundigen Erwartung einer Erw i derung erzählt hatte.
    Er steckte in der Krise, befand Yu, während er depr i miert den Zigarettenstummel in dem zementierten G e meinschaftswaschbecken ausdrückte, bevor er in ihr Zimmer ging.
    Peiqin badete sich gerade die Füße in einer grünen Plastikschüssel. Sie blickte nicht auf, sondern blieb vo r nübergebeugt in dem Bambussessel sitzen. Auf dem B o den hatten sich die unvermeidlichen Wasserpfützen g e bildet. Die Schüssel war einfach zu klein. Sie konnte kaum die Zehen darin ausstrecken.
    Während ihrer Zeit als »landverschickte Jugendliche«, die inzwischen fast wie ein anderes Leben anmutete, ha t te Peiqin neben ihm gesessen und die Beine in den kl a ren, friedlichen Bergbach baumeln lassen, der hinter ihrer Bambushütte vorbeifloß. Damals hatte ihr einziger und größter Traum darin bestanden, nach Shanghai
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