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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot
Autoren: Qiu Xiaolong
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zurüc k zukehren, so als würde sich dort alles weitere von selbst entfalten wie ein Regenbogen am blauen Himmel. Die blauen Flügel eines Eichelhähers hatten schimmernd au f geblitzt, eine Krabbe hatte an ihrem Zeh geknabbert, und sie hatte sich in ihrem Schreck an ihn geschmiegt.
    In den frühen achtziger Jahren waren sie in die Stadt zurückgekommen, in ein Zwölf-Quadratmeter-Zimmer und in die Realität des Alltags. Abgesehen von der G e burt ihres Sohnes Qinqin, hatte sich kaum eine ihrer Hoffnungen erfüllt. Er war inzwischen zu einem großen Jungen herangewachsen, und für sie beide war der R e genbogen über dem fernen Bergbach längst verblaßt.
    In der neuen Wohnung in Tianling hätte es ein kleines Badezimmer gegeben, in das er eine Dusche hatte ei n bauen wollen. Kopfschüttelnd ertappte sich Haup t wachtmeister Yu dabei, wie er wieder einmal verpaßten Gelegenheiten nachtrauerte.
    Auf dem Tisch hinter Peiqin bemerkte er eine Tüte. Es waren mit gegrilltem Schweinefleisch gefüllte Damp f brötchen, die, wie er vermutete, aus Gengs Restaurant stammten. Der Laden lief gut. Peiqin half Geng bei der Buchhaltung, und er entlohnte sie in Naturalien.
    Wäre es auch für ihn möglich, einen Nebenjob zu fi n den?
    Das Klingeln des Telefons unterbrach seine Gedanken. Er nahm an, daß es seine Dienststelle war, und hatte recht.
    Parteisekretär Li konnte zu dieser späten Stunde Obe r inspektor Chen Cao, Yus Vorgesetzten in der Speziala b teilung der Mordkommission, nicht erreichen. Aber ein dringlicher Fall lag vor, und deshalb rief er jetzt Yu an.
    »Yin Lige.« Yu wiederholte den Namen des Mordo p fers, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. Li hatte kaum etwas gesagt, nur so viel, daß die Lösung des Falls politische Bedeutsamkeit hatte. Yin mußte bekannt sein, denn sonst wäre der Mord an ihr gar nicht in seiner A b teilung gelandet, die sich nur mit politisch brisanten Fä l len befaßte. Dennoch rief die Erwähnung ihres Namens keine Assoziationen wach. Yin war ein häufiger chines i scher Familienname, und falls sie tatsächlich berühmt gewesen war, hätte er eigentlich von ihr gehört haben sollen.
    »Yin Lige!« wiederholte Peiqin und sprach ihn zum ersten Mal nach Tagen wieder an.
    »Ja. Weißt du etwas über sie?«
    »Die Autorin von Tod eines chinesischen Professors. Der Professor hieß Yang Bing«, fügte sie hinzu, während sie ihre Füße mit einem Handtuch abtrocknete. »Was ist mit ihr?«
    »Sie wurde in ihrem Zimmer ermordet.«
    »Hat die Regierung ihre Finger in der Sache?« fragte Peiqin mit zynischem Unterton.
    Ihre Erwiderung verblüffte ihn. »Die Dienststelle ist angewiesen, den Fall so schnell wie möglich aufzuklären, hat Parteisekretär Li gesagt.«
    »Für euren Parteisekretär ist doch alles politisch.«
    Damit spielte sie offenbar auf die Art und Weise an, wie manche Ermittlungen unter Lis Leitung durchgeführt worden waren, aber sicher auch auf die widerrufene Wohnungszuweisung. Peiqin vermutete, daß Lis G e schichte von der Begleichung alter Schulden zwischen Staatsbetrieben nur ein Vorwand gewesen war, um die Zusage rückgängig zu machen. Yu verfügte über keine r lei politischen Einfluß in seiner Dienststelle.
    Yu war dieser Gedanke auch schon gekommen, er wollte aber im Moment nicht darüber sprechen. »Wovon handelt ihr Buch?«
    »Es beruht auf ihren persönlichen Erfahrungen und handelt von einem alten Professor, der sich während der Kulturrevolution verliebt. Die Presse hat dem Buch große Aufmerksamkeit geschenkt, und es geriet ziemlich unter Beschuß.« Peiqin stand auf und griff nach der Plasti k schüssel. »Kurz nach der Veröffentlichung wurde es ve r boten.«
    »Komm, ich helfe dir«, sagte Yu und brachte die Schüssel in den Hof. Sie folgte ihm in Schlappen nach draußen. »Über die Kulturrevolution gibt es viele B ü cher. Was ist an ihrem so besonders?« fragte Yu.
    »Die Leute fanden, daß manche ihrer Schilderungen zu realistisch sind, sie enthalten zu viele blutige Details, als daß die Partei das schlucken wollte«, erwiderte sie. »Der Roman hat auch im Ausland Aufsehen erregt. Da r aufhin wurde sie von der offiziellen Kritik als Dissidentin bezeichnet.«
    »Aha, eine Dissidentin. Aber das Buch handelt von der Kulturrevolution, von der Vergangenheit also. Wenn sie sich nicht in der aktuellen Bewegung für Freiheit und Demokratie engagiert, dann verstehe ich nicht, warum die Regierung sie loswerden müßte.«
    »Du hast das Buch eben nicht
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