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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot
Autoren: Qiu Xiaolong
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so viele ausgezeichnete Übersetzer in Shanghai«, hielt Chen ihm entgegen. »Professoren von der Fudan und der Ostchinesischen Universität. Sie we r den mich kaum benötigen, um Kontakt zu einem von ihnen herzustellen.«
    »Aber die sind nicht wirklich qualifiziert für diese Aufgabe. Und nicht nur ich sehe das so. Ich habe bereits einen emeritierten Fudan-Professor um Hilfe gebeten und meinem amerikanischen Geschäftspartner ein paar Seiten der Probeübersetzung gefaxt. Er war gar nicht zufrieden. ›Zu betulich, zu wörtlich‹, lautete sein Urteil.«
    »Bei solch betulichen Professoren habe ich studiert.«
    »Wenn es damals die staatliche Stellenvermittlung nicht gegeben hätte, wären Sie heute längst ein anerkan n ter Professor. Natürlich hat sich die Sache für Sie bestens entwickelt. Ein aufstrebender Parteikader, ein mehrfach publizierter Dichter, ein anerkannter Übersetzer; diese Professoren können Sie heute nur beneiden. Außerdem sind Sie anders. Als Repräsentant einer staatlichen B e hörde hatten Sie mehrfach Kontakt zu Besuchern aus Amerika. Ihre amerikanische Freundin – Catherine hieß sie, wenn ich mich recht erinnere – hat bestätigt, daß Ihr Englisch ausgezeichnet ist.«
    »Amerikanische Übertreibungen. So etwas sollten Sie besser nicht glauben«, sagte Chen. »Abgesehen davon habe ich nur den Shanghaier Schriftstellerverband vertr e ten, und auch das sehr selten.«
    »Genau, das ist ein weiterer Grund, warum ich Ihre Hilfe brauche. In diesem Entwurf ist von Kultur und G e schichte Shanghais die Rede, und zwar in poetischem Stil. Sie sind doch Dichter. Das ist nun wirklich keine Übertreibung. Ich k ann mir einfach keinen besseren Ü bersetzer für diese Aufgabe denken.«
    »Danke«, entgegnete Chen schlicht, während er Gu über den Rand seiner Brille hinweg beobachtete. Gu mußte sich sein Angebot lange überlegt haben. »Das Problem ist, daß ich im Präsidium mit Arbeit überhäuft werde.«
    »Ich weiß, daß ich viel von Ihnen verlange. Nehmen Sie sich eine Woche Urlaub für mich. Expreß-Service. Wir zahlen das anderthalbfache Honorar für Expreß-Service: Das macht fünfundsiebzig Cent pro Schriftze i chen. Ich werde mit meinem amerikanischen Partner sprechen; ich bin sicher, daß er das auch so sieht.«
    Chens rasche Kalkulation ergab ein kleines Vermögen. Bei einem Satz von fünfundsiebzig Cent pro Schriftze i chen und grob gerechnet tausend Schriftzeichen pro Seite machte das mehr als 30000 Dollar, also 300000 Yuan. Dafür würde er als Oberinspektor dreißig Jahre lang a r beiten müssen, einschließlich aller Prämien und Verg ü tungen.
    Daß Chen bereits mit Mitte Dreißig zum Oberinspe k tor befördert worden war, galt allgemein als Erfolg; ein aufsteigender Parteikader mit vielversprechender Z u kunft, dem ein Dienstwagen und ein Neubau-Apartment zur Verfügung standen, und dessen Photo immer wieder in der Lokalpresse zu sehen war. Doch trotz der Siche r heiten, die die eiserne Reisschale ihm bot, deckten die monatlichen fünfhundert Yuan nur knapp seine Ausg a ben. Ohne die Honorare für gelegentliche Krimi-oder Fachübersetzungen und die Vergünstigungen, die die »Grauzonen« rund um seine Position ihm zuspielten, würde er kaum über die Runden kommen.
    Außerdem hatte er als Parteikader den Grundsatz, sich an die ungeschriebenen Gesetze zu halten. Wenn er sich beispielsweise mit Leuten wie Gu traf, fühlte er sich ve r pflichtet, hin und wieder auch einmal nach der Rechnung zu greifen, obwohl der Geschäftsmann natürlich darauf bestand, ihn einzuladen.
    In letzter Zeit waren auch noch die Kosten für die ärz t liche Behandlung seiner Mutter hinzugekommen, deren früherer Arbeitgeber, eine staatseigene Fabrik, in finanz i ellen Schwierigkeiten steckte und die Arztrechnungen seiner Pensionisten nicht mehr bezahlen konnte. Sie hatte sich schon mehrmals vergeblich an den Fabrikdirektor gewandt. Die Firma stand vor dem Bankrott. Also hatte Chen die Arztkosten übernommen. Das Übersetzungsh o norar von der New World Group käme wie ein warmer Regen inmitten der Trockenzeit.
    »Sie müssen mir helfen«, bekniete ihn Gu. »Ich kann doch den amerikanischen Bankern keinen unlesbaren Projektentwurf vorlegen. Die Übersetzung muß einfach hervorragend sein.«
    »Und ich kann Ihnen nichts versprechen. Das Überse t zen von fünfzig Seiten Text braucht seine Zeit. Ich b e zweifle, daß sich das in einer oder auch zwei Wochen schaffen läßt, selbst wenn ich Urlaub dafür
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