Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot
Autoren: Qiu Xiaolong
Vom Netzwerk:
verpaßt. Ich habe viel von der Welt gesehen, aber Einkaufen und Essen verlief überall recht ähnlich. Aber Rom hat mich wirklich überrascht. Es war eine einzigartige Erfahrung; Erinnerungen an die Vergangenheit, gepaart mit modernem Luxus.«
    »Das klingt großartig, Herr Gu. Aber Shanghai ist nicht Rom.«
    »Wir haben hier unsere shikumen -Häuser. Ich werde den ganzen Komplex in diesem Stil errichten lassen. Ta t sächlich stehen auf dem Gelände noch viele solcher Hä u ser. Und Gäßchen wird es auch geben. Einige der G e bäude werden von Grund auf saniert und restauriert. Falls nötig, wird die alte Bausubstanz abgerissen und origina l getreu wieder aufgebaut, mit neuen Materialien, aber im alten Stil. Die Fassaden bleiben unverändert, aber innen wird es Klimaanlagen und Zentralheizung geben, alles, was der moderne Komfort verlangt.«
    »Shikumen war einer der vorherrschenden Baustile für die Wohnhäuser der Konzessionsviertel«, erwiderte Chen.
    »Er läßt sich aber auch für Läden, Bars, Restaurants und Nachtclubs adaptieren. Wir werden eine Attraktion für Touristen schaffen – exotisch, fremdartig, kolonial, postkolonial, alles, was es bei ihnen zu Hause nicht gibt. Aber auch die Shanghaier werden sich angezogen fühlen. Ich habe ein bißchen Marktforschung betrieben. Nosta l gie ist angesagt. Wie wurde unsere Stadt damals g e nannt? ›Paris des Ostens‹, ›Perle des Orients‹. Bildbände über Shanghais goldene Zeiten finden reißenden Absatz. Und warum? Weil bei uns eine rasch wachsende Mitte l schicht über Geld verfügt und sich jetzt nach einer Trad i tion, einer Geschichte sehnt, die sie für sich reklamieren kann.«
    »Ein großartiges Projekt«, sagte Chen. »Hat die Stad t verwaltung schon zugestimmt?«
    Chen wußte, daß Gu ein hartgesottener Geschäftsmann war. Man brauchte sich also über die Geschäftsstrategien der New World Group keine Sorgen zu machen. De n noch stand das Honorar, das man ihm für die Überse t zung anbot, in keinem Verhältnis zum Arbeitsaufwand. Es war, als regnete es Mondkuchen vom Himmel; ein so gutes Angebot konnte nur Chens Mißtrauen erregen. Er mußte herausfinden, wo der Haken an der Sache war.
    »Natürlich hat es die Stadtverwaltung abgesegnet. Wenn die New World erst einmal steht, dann ist das nicht nur eine Bereicherung für unsere großartige Stadt, so n dern bringt auch enorme Steuereinnahmen.« Gu steckte sich eine Zigarette an, bevor er fortfuhr: »Ich werde I h nen ein Geheimnis anvertrauen. Ich habe einen Antrag auf Schutz kulturellen Erbes gestellt. Schließlich ist der shikumen -Stil ein bedeutsamer Bestandteil der Shangha i er Stadtgeschichte. Ein oder zwei kleine Museen könnten ohne weiteres in das Konzept integriert werden. Ein M u seum für alte Münzen wäre eine Möglichkeit; jemand ist bereits mit einer solchen Idee an mich herangetreten. Die Mehrzahl der modernen shikumen -Bauten soll jedoch kommerziell genutzt werden. Gewerbeflächen der L u xusklasse.«
    »So wie in Rom?«
    »Genau. In meinem Antrag an die Stadtverwaltung habe ich solche Details natürlich nicht weiter ausgeführt, sonst wären die Grundstückspreise ins Astronomische gestiegen. Aus anderer Perspektive betrachtet, dient di e ses Projekt ja auch wirklich dem Schutz des historischen Erbes.«
    »Wie wahr«, entgegnete Chen, »eine Sache hat immer mehrere Seiten, man kann sich den jeweiligen Blickwi n kel aussuchen.«
    »Die Stadtverwaltung hat den Plan genehmigt. Der nächste Schritt besteht nun darin, Kredite von ausländ i schen Banken zu erhalten. Substantielle Kredite. Zug e geben, es ist ein riskantes Spiel, aber ich glaube daran. Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation wird die Tür noch weiter aufstoßen. Niemand kann die Uhren z u rückdrehen. Mehrere amerikanische Kapitalgesellscha f ten haben bereits Interesse an der New World bekundet, aber niemand dort hat eine Ahnung von Shanghaier Ku l tur. Deshalb möchte ich den Leuten einen detaillierten Projektentwurf vorlegen, etwa fünfzig Seiten auf en g lisch. Alles hängt von der Übersetzung ab. Sie allein sind zu so etwas in der Lage, Oberinspektor Chen.«
    »Vielen Dank, Generalmanager Gu.« Das war in der Tat ein großes Kompliment. Chen hatte Englisch studiert, aber durch eine Reihe von Zufällen war ihm ein Arbeit s platz bei der Shanghaier Polizei zugewiesen worden. In den vergangenen Jahren hatte er daher lediglich in seiner Freizeit übersetzt, Gus Ansinnen schmeichelte ihm.
    »Aber es gibt doch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher