Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
ist los?«, fragte sie, sobald sie zu Atem gekommen war. »Was hast du mit mir vor?«
»Das fragst du noch?« Wütend funkelte er sie an. In seinen Augen blitzte es beängstigend. »Was glaubst du denn, wie das hier enden soll?«
Anna zuckte zurück. Klaus war wirklich unberechenbar. Im einen Moment behandelte er sie fürsorglich, ja beinahe liebevoll, und im nächsten loderte blanker Hass in seinem Blick.
Er wandte sich ab, öffnete die Beifahrertür des Wagens, den er so weit ins Gestrüpp gefahren hatte, dass man ihn kaum sehen konnte, und kam mit einem Gewehr zurück. »Da geht’s lang!«
Sie blickte in die Richtung, in die er zeigte, und entdeckte etwas Graues zwischen den Baumstämmen. Ein Haus? Wo waren sie? Der Wald kam ihr bekannt vor, doch das musste eine Täuschung sein. Sie waren mindestens eine Stunde im Auto gefahren.
»Los, mach schon, steh auf! Wenn du tust, was ich sage, geht es schnell und schmerzlos.«
Anna hatte keine Kraft mehr, ihm Widerstand zu leisten. Wozu auch? »Ich wollte doch nur wissen, ob du meinen Karl damals auf dem Feld gesehen hast«, sagte sie leise. »Ich möchte endlich die Wahrheit wissen.«
»Karl? Du wolltest über Karl reden?« Entgeistert starrte er sie an, sein linkes Auge zuckte.
»Ich stand vor dem Haus und habe dich auf deinem Mofa gesehen«, fuhr sie fort. Es war ihr egal, dass sie heute sterben würde. Im Gegenteil, die Aussicht auf ein rasches, schmerzfreies Ende hatte etwas Verlockendes. Doch sie wollte nicht gehen ohne diese letzte Antwort. Sie spürte, dass es wichtig war. »Du bist hoch zum Waldrand gefahren, von dort konntest du das Feld sehen. Du musst dich erinnern, du hast doch sogar zu mir herübergeschaut.«
Klaus wirkte verblüfft. »Du weißt es wirklich nicht mehr.« Es war eine Feststellung, keine Frage. Einen Moment stand er unschlüssig vor ihr, dann zog er sie hoch. Sie blickten sich in die Augen. »Du weißt es wirklich nicht mehr«, wiederholte er. »Ist besser so, glaub mir.« Er packte sie am Arm. »Komm mit!« Er ging los, doch sie nahm ihren letzten Rest Kraft zusammen und schüttelte ihn ab.
»Was weiß ich nicht mehr?«, fragte sie leise.
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde er sie verständnisvoll anlächeln, doch sein Blick ging durch sie hindurch, und sein Lächeln verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze.
»Es stimmt«, sagte er. »Ich habe dich gesehen, als ich mit dem Mofa vorbeikam. Aber du standst nicht vor dem Haus. Du saßt auf dem Traktor neben Karl.«
*
Sie saßen auf dem Rand der Viehtränke, die den kleinen Platz in der Dorfmitte zierte, und warteten auf die Bonner Kripo. Nachdem sie bei den lokalen Beamten nicht viel Glück gehabt hatten, hatte Katrin Michael Breitner angerufen, der versprochen hatte, mit einem Kollegen vorbeizukommen und sich mit eigenen Augen ein Bild zu machen. Dafür war er sogar bereit, seinen freien Sonntag zu opfern. Manfred hatte eher den Verdacht, dass er den Sonntag für Katrin opferte, nicht für Anna Henk, aber das war ihm im Augenblick egal. Hauptsache, jemand mit offiziellen Befugnissen nahm sich der Sache an, bevor Schlimmeres geschah. Er legte den Arm um Katrin, die fröstelnd neben ihm saß. Noch regnete es nicht, aber es konnte jeden Augenblick losgehen. »Ich kann dich ins Hotel fahren, du wirst hier nicht mehr gebraucht.«
»Aber du wirst gebraucht, ja?« Sie klang aufgebracht.
Manfred erkannte seinen Fehler sofort, aber so leicht wollte er nicht aufgeben. »Ich dachte nur, es wäre besser, weil es so kalt ist und weil …« Er konnte es nicht verhindern, zu ihrem Bauch zu schauen, dorthin, wo vielleicht ein neues Leben wuchs, ein Kind. Sein Kind.
Katrin kniff die Augen zusammen. »Ich fasse es nicht. Geht es schon los? Willst du mir sagen, dass ich mich schonen muss? Verdammt, ich habe ja nicht einmal diesen blöden Test gemacht. Vielleicht ist alles falscher Alarm.« Sie stieß ihn weg und stand auf.
Manfred erhob sich ebenfalls. »Vergiss es, war ’ne blöde Idee«, sagte er beschwichtigend.
In dem Augenblick sprang die Tür des gegenüberliegenden Hauses auf, und eine Frau in Jeans und Windjacke trat heraus. Ohne nach rechts oder links zu blicken, rannte sie auf einen uralten grünen Nissan Micra zu, stieg ein und startete den Motor. Sekunden später raste der Wagen mit überhöhter Geschwindigkeit an Katrin und Manfred vorbei. Unwillkürlich zuckte Manfred zusammen.
»Was war denn mit der los?«, fragte Katrin neben ihm. Die Neugier schien über ihre
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