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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf
Autoren: Klaus Wanninger
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Zittern, das seinen ganzen Leib erfasst hatte. Er heulte, stammelte irgendwelche unverständlichen Laute. Bei allem, was wir schon gemeinsam durchgemacht hatten, so hatte ich ihn noch nie erlebt. Jonny, ein einziges Häuflein Elend.
    »Was ist mit dir?«, fragte ich.
    Er war nicht fähig, zu antworten, streckte mir seine Hände entgegen. Ich nahm sie, spürte einen geschmeidigen Gegenstand. In dem Moment tauchte Isioma neben uns auf.
    »Was ist passiert?«, wollte sie wissen.
    Jonny schrie laut auf, schluchzte, warf sich ihr an die Brust.
    »Jonny, was ist mit dir?« Sie nahm ihn in die Arme, hielt ihn fest, ließ ihn ihre Wärme spüren.
    Er beruhigte sich langsam, wurde von Isioma in die Küche geschoben. Sie drückte ihn auf einen Stuhl, ging an den Herd.
    »Jetzt trinkst du erst eine heiße Milch«, sagte sie, »dann sieht die Welt besser aus.«
    »Die Welt sieht nie mehr besser aus«, presste er schwer atmend hervor, »nie mehr.«
    Er legte seine Hände auf den Tisch, öffnete sie. Ein silbern glänzender, schlangenförmiger Gegenstand rollte daraus hervor. Ich hörte Isioma mit einem Becher klappern, sah die Kette vor mir. Ein fein gearbeitetes, teures Stück. Es war in zwei Teile zerrissen.
    »Wo hast du die her?«, fragte ich.
    Ein herzzerreißendes Schluchzen war die Antwort.
    Isioma brachte eine große Tasse dampfender Milch, schob sie vor ihn hin, betrachtete die Kette. »Ein wunderschönes Stück. Aber sie gehört nicht dir.« Sie setzte sich zu ihm, legte ihren Arm um seine Schulter, drückte ihn fest an sich.
    Er schüttelte den Kopf, trank von der Milch.
    »Du hast dich gestritten«, sagte Isioma.
    Jonny starrte in seine Tasse, ließ sie reden.
    »Mit einem Mädchen.«
    Irgendwann fand er zur Sprache. »Ich weiß nicht, wie es passierte. Wirklich, ich weiß es nicht. Ich wollte es nicht.«
    Kurz darauf hatte er uns alles erzählt.
    »Ich war bei meinem Freund Jonas, lief nach Hause. Ihr wisst, die Treppen runter. Ich wollte zur letzten Bahn. Plötzlich traf ich Jessica. Ich kenne sie seit ein paar Wochen. Sie war auf dem Weg nach Hause, am unteren Ende der Elser-Staffel. Wir schäkerten miteinander, lachten. Ich hatte keine Lust mehr, nach Hause zu gehen, Fürchtegott lag eh längst im Bett. Ich fragte, ob sie mitkommen wolle, irgendwohin. Sie zögerte keine Sekunde, war sofort einverstanden. Wir liefen über die Straße, dann die große Treppe runter, Sünder-Staffel oder so. Ich fühlte mich wie Vin Diesel, unbesiegbar. Jessica neben mir, wow! Das wird eine Nacht! Wir stiegen die Stufen hinunter. »Wo gehen wir hin?«, fragte ich. »Schlag was vor«, meinte sie locker flockig. Ich erwähnte ein paar Namen, Discos, Kneipen, Bars, als sie plötzlich stehen blieb. »Ach, das ist doch keine so gute Idee«, meinte sie mit einem Blick auf ihre Uhr, »es ist höchste Zeit, nach Hause zu gehen.« Sie wollte nicht mehr, das konnte doch nicht sein! Ich war wie vor den Kopf gestoßen, packte sie, zog sie zu mir her, versuchte sie zu küssen. ›Eh, das kannst du doch nicht machen‹, sagte ich, ›wir haben ausgemacht, dass wir zusammen weggehen.‹ Sie stieß mich von sich, knallte mir eine. In dem Moment sah ich rot. Einen Vin Diesel schlägt man nicht! Ich hörte noch ihr Gekeife: ›Was bildest du dir ein. Ich bin doch nicht dein Anhängsel!‹, packte zu. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr, es ist wie ein Filmriss. Plötzlich sackte sie zusammen. Sie fiel auf den Boden, mir vor die Füße, und wie sie da so lag … Ich wusste nicht, was tun, schüttelte sie, rüttelte an ihren Armen, aber sie blieb einfach liegen, regte sich keinen Millimeter. Plötzlich bist du mir eingefallen, Berni, und du, Isioma, und ich bin zu euch gerannt. Und das da hatte ich die ganze Zeit in der Hand.«
    Ich weiß nicht, wie lange ich benötigte, wieder zu mir zu kommen. Mehrere Sekunden oder gar Minuten? Ich war wie gelähmt. War es wirklich wahr, was ich eben gehört hatte? Oder handelte es sich um einen schlimmen, bösen Traum?
    Isioma riss mich aus meiner Betäubung. »Du hast das Mädchen liegen lassen?«, fragte sie mit ruhiger Stimme.
    Ich starrte sie an, als käme sie von einem anderen Stern. Sie erwiderte meinen Blick, und ich verstand, was sie mir sagen wollte. Weißt du, wie oft ich das schon erlebt habe in Nigeria? Mord, Totschlag, Folter, Vergewaltigung, Angst, Entsetzen?
    Jonny nickte.
    »Wir gehen hin«, sagte sie kurz.
    Wir zogen uns dunkle Jacken über, liefen zur Pfizerstraße, dann die Sünderstaffel hoch,
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