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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf
Autoren: Klaus Wanninger
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auf.

6. Kapitel
    Der Mann hieß Fürchtegott Knäble und sah auch so aus.
    Mehr Fürchtegott als Knäble.
    Wer konnte damals bei deiner Geburt schon so genau wissen, wie sehr du später deinem Vornamen Ehre erweisen würdest, überlegte Michael Felsentretter, als die Tür in der Düsseldorfer Straße geöffnet wurde und der Mann vor ihm stand. Wer war der Hellseher, der Vater oder die Mutter?
    »Ja, um was geht es?« Die Augen des Mannes starrten hinter dicken Brillengläsern vor, bohrten sich in sein Gesicht, versuchten, auf diese Weise zu ergründen, was der bullige, annähernd zwei Meter große Besucher von ihm wollte. Seine Haare, soweit sie nicht längst der deutlich ausufernden Glatze Platz gemacht hatten, warteten auf die energische Hand eines Friseurs.
    Warum habe ich keine Schere dabei, überlegte Felsentretter, oder besser noch einen Rasenmäher. Er zog dann seinen Ausweis, streckte ihn dem ungepflegten Kopf mit Brille entgegen. »Felsentretter vom Landeskriminalamt«, stellte er sich vor, »Sie sind Herr Knäble?«
    Sein Gegenüber trat erschrocken einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf. »Wir kaufen nichts. Auf Wiedersehen.« Er griff nach der Tür, wollte sie wieder schließen, wurde von Felsentretters energischem Eingreifen daran gehindert.
    Der Kommissar stieß seinen rechten Fuß nach vorne, donnerte die Tür an die Wand. »Haben Sie Probleme?«, schimpfte er mit lauter Stimme. »Ich will eine Auskunft, nichts verkaufen.« Der Kerl ist noch dämlicher als er aussieht, arbeitete es in ihm.
    Knäble schien immer noch nicht zu begreifen. »Was, was wollen Sie?«, stammelte er.
    »Johannes Knäble«, erklärte Felsentretter, »kennen Sie den?«
    »Jonny?« Der ungepflegte Kopf starrte fragend zu ihm hoch. »Jonny? Das ist mein Bruder.«
    »Dann bin ich richtig. Kann ich kurz reinkommen?«
    »Mein jüngerer Bruder, genauer gesagt. Was wollen Sie von ihm?«
    »Wenn Sie mich erst mal in die Wohnung lassen … Dann können wir alles in Ruhe besprechen.« Er warf die Tür hinter sich zu, schob den Mann vor sich her durch eine schmale Diele, nahm in der Küche auf einer harten Eckbank Platz. Das Möbelstück knirschte bedenklich, als er sich darauf niederließ. »Sie haben keine weiteren Verwandten?«, fragte er.
    Knäble war vor dem Tisch stehen geblieben, zog eine Zigarette aus ihrer Packung, schüttelte den Kopf. »Vater Krebs, Mutter von einem Auto überfahren«, antwortete er, »vor drei Jahren schon.«
    »Ihr Bruder ist bei Ihnen geblieben? Nach dem Tod der Eltern, meine ich.«
    »Es blieb uns nichts anderes übrig, ja. Ich konnte den Kleinen ja nicht aus der Wohnung werfen, oder?«
    Felsentretter ging nicht auf die Bemerkung des Mannes ein. »Das ist dann sicher schwer für Sie«, sagte er stattdessen. »Es tut mir leid, aber Ihr Jonny ist tot.«
    Knäble verharrte mitten im Anzünden der Zigarette, starrte zu ihm hin. Seine Augen quollen hinter der dicken Brille zu unnatürlicher Größe auf.
    Der Kommissar klopfte mit der Faust auf den Tisch. Verdammte Kacke, wie ich das hasse, brodelte es in ihm. Warum muss ich das ausgerechnet diesem armen Schwein hier antun?
    Sein Gegenüber nahm einen tiefen Lungenzug, ließ sich dann auf einen klapprigen Plastikstuhl fallen. Er wartete mehrere Sekunden, bis er den Rauch wieder von sich stieß. »Jonny?«, fragte er dann. »Jonny?«
    »Tut mir leid, ja. Er lebte bei Ihnen?«
    Knäble starrte ihn lange an, wie in Trance, erhob sich dann ruckartig, schlurfte aus der Küche. »Hier, das ist sein Zimmer.« Er öffnete die Tür zu einem großen Raum, dessen Wände über und über mit Postern von Sportlern und Filmstars beklebt waren. Ein Bett, ein Schrank, ein Fernsehapparat mit Video und DVD, eine Stereoanlage, dazu die vielen Bilder. »Schauspieler. Er liebt sie sehr.«
    »Schauspieler? Das sind doch nur Roboter mit Fäusten und Muskeln. Die haben alle nur Testosteron in der Birne.« Felsentretter wog zweifelnd den Kopf hin und her. »Er ist erst neunzehn, ja?«
    »Neunzehn«, bestätigte der Mann, »neunzehn.« Er fragte nicht nach den Umständen des Todes, nannte einen der abgebildeten TV-Stars nach dem anderen, erklärte, weshalb sein Bruder den so verehrte.
    Ob er überhaupt begriffen hatte, was geschehen war?
    »Sie sind nicht verheiratet?«, fragte der Kommissar. Die Wohnung sah nicht danach aus, ihr fehlte die pflegende Hand, der emotionale Charme. Die wirkt genau wie meine eigene, bevor ich Margit kennenlernte, überlegte er. Kalt, ungepflegt, verwohnt.
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