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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter
Autoren: Amanda Cross
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Fraktionen spalteten. Kurz gesagt: Miss Tyringham war genial in ihrer Arbeit.
    Aber auch ein Verwaltungsgenie hätte auf die zweite Hälfte der sechziger Jahre nicht vorbereitet sein können. Niemand war darauf vorbereitet, aber einige wenige waren weniger vorbereitet als andere. Die Privatschulen überstanden den Sturm durch vorsichtig dosierte Erpressung: Ihre Wartelisten waren lang und die öffentlichen Schulen indiskutabel. Der diskrete Hinweis, Johnny oder Susy sollten sich besser benehmen oder aber die Eltern sich nach einer besser geeigneten Schule für ihre Sprößlinge umsehen, reichte im allgemeinen für eine Verhaltensänderung.
    Zumindest für eine Weile. 1968 jedoch nahmen Schüler, allen elterlichen und schulischen Warnungen zum Trotz in Kauf, von der Schule zu fliegen. Im Theban funktionierte der Gemeinschaftssinn im großen und ganzen. Miss Tyringham, standhaft und freundlich wie immer, wurde mit allem fertig – mit Hosen in der Schule (sie ignorierte sie einfach), mit Drogen (sie konfrontierte Schüler und Eltern auf möglichst wenig moralisierende Weise mit den Tatsachen), mit der schwarzen Revolution (die hatte sie vorausgesehen) und mit der Forderung nach Koedukation (in regelmäßigen Zusammenkünften mit dem Direktor der Jungenschule, die Kates Neffen besuchten, erkundete sie die Lage und gab ab und an rätselhafte Berichte über den Stand der Dinge ab; ob sie Koedukation ins Auge faßte oder dagegen war, wußte niemand so recht).
    Nicht meistern konnte sie dagegen den Vietnamkrieg. Ob die Geschichte der Vereinigten Staaten ohne diesen Krieg wesentlich anders verlaufen wäre, ist eine müßige Frage. Miss Tyringham wußte nur, daß er die Generationen und die politischen Gruppen am Theban weiter voneinander entfernt hatte als jede Krise zuvor. Die Schüler fingen an, einander bei jeder Sitzung niederzuschreien, und verletzten dadurch die älteren Lehrer, die an Jeffersons Form der Demokratie gewöhnt waren, an das Recht eines jeden, gehört zu werden. Die Schüler weigerten sich, an Moratoriumstagen in der Schule zu erscheinen. Miss Tyringham hielt die Schule offen als Forum für Diskussionen und das Verfassen von Petitionen für oder gegen den Krieg (nur sehr wenige waren dafür). Sie hatte bereits eine grundlegende Lehrplanreform begonnen, für die Julia Stratemayer zuständig war; die Schule ging weiter. Aber Miss Tyringham spürte im Frühjahr 1970 wie jeder andere im Land die Anspannung. Dies war die Situation, in die Kate an einem verdächtig milden Februartag hineinstolperte, einem Tag, der ebenso heuchlerisch Frühling verhieß, wie ein Schürzenjäger Treue gelobt.
    »Wir sind ja so froh, daß Sie da sind«, sagte Miss Tyringham, als sie Kate in ihrem Büro willkommen hieß. Das Allerheiligste, dachte Kate. Sie erinnerte sich, nur dreimal während ihrer Schulzeit darin gewesen zu sein. Einmal war sie als Mitglied der Schülermitverwaltung zu einer wichtigen Sitzung geholt worden, auf der es nicht darum ging, ob die Schüler die Leitung der Schule übernehmen und Lehrer ihrer Wahl einstellen sollten (was inzwischen durchaus an der Tagesordnung war), sondern ob die Schüler motiviert werden könnten, ihre eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen und damit eine Schülermitverwaltung überhaupt zu rechtfertigen. Danach war sie mit ihren Eltern im Büro der Leiterin gewesen, um ihre Anmeldung zum College zu besprechen; Miss Tyringhams Vorgängerin war es mit unendlichem Feingefühl gelungen, Kates Eltern Vassar auszureden (ihre Mutter hatte dort studiert). Genau so hatte sie drei Jahre zuvor Kate geholfen, ihnen die Mikron Academy auszureden. Kate erwähnte Miss Tyringham gegenüber diese drei Ereignisse. »Und nun bin ich hier«, sagte sie, »um über ›Antigone‹ zu diskutieren. Wußten Sie, daß der Rektor von Princeton ein Buch über die Metaphorik der ›Antigone‹ geschrieben hat? In vergangenen, weniger turbulenten Zeiten, natürlich.«
    »Wirklich? Ich hoffe, es ist nicht der letzte Rektor eines Colleges in diesem Land, der zu so etwas in der Lage ist. Wissen Sie, daß in diesem Jahr tatsächlich einige unserer Graduierten nach Princeton gehen werden? Wir leben in einer so aufregenden Zeit, und ich versuche immer wieder, die Älteren unter den Eltern zu beruhigen, die sich fragen, ob sie vielleicht länger leben werden als dieser sich so schnell verändernde Planet. Die älteste Ehemalige unserer Schule bemerkte kürzlich, in ihrer Jugend habe es kaum Automobile gegeben, und
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