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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter
Autoren: Amanda Cross
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jetzt landeten wir schon auf dem Mond. Ich konnte mir nicht verkneifen dagegenzuhalten, daß damals die Long Island Railroad etwas schneller war als heute und die Post in der Hälfte der Zeit zugestellt wurde. All das ist natürlich ohne Bedeutung. Wichtig ist, daß wir heute in einer Gesellschaft leben, die – ob wir nun wollen, oder nicht – bereit sein muß, von der Jugend zu lernen. Für die meisten Menschen in meinem Alter ist das eine bittere Pille.«
    »Wenn wir nichts zu lehren haben, warum lehren wir dann?« fragte Kate.
    Miss Tyringham lehnte sich in ihrem Sessel zurück und lächelte – das schönste Lächeln, das Kate je gesehen hatte. Miss Tyringham war eine wirklich schöne Frau, nicht zuletzt weil ihr von jeher ungeschminktes Gesicht und ihr lässig zurückgebürstetes Haar den Eindruck erweckten, von ihrer Schönheit ablenken, ja sie leugnen zu wollen: Dem Betrachter wurde ihre Schönheit um so deutlicher bewußt, weil er sich zugute hielt, sie dank seiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe überhaupt wahrgenommen zu haben. Es gab natürlich auch Eltern, die die Art und Weise, wie sich Miss Tyringham »aufmachte«, ablehnten, und sie bemerkten gelegentlich im Gespräch, irgend jemand möge ihr doch sagen, sie solle nicht so männliche Kleidung tragen. Eltern von Mädchen, die nicht ins Theban aufgenommen worden waren, gaben spitzzüngigere Kommentare über Miss Tyringham ab. Kate bewunderte den Mut oder die natürliche Unbefangenheit oder den schlichten Mangel an Zeit, der es einem Menschen erlaubte, so ganz und gar er selbst zu sein.
    »Ich frage mich«, sagte Miss Tyringham, »ob nicht unsere Auffassung vom Begriff des Unterrichtens neu überdacht werden muß. Sind wir vielleicht allzu lange davon ausgegangen, daß Lehren ein Ritual ist, in dem ich, die Altere und angeblich Weisere, ihnen, den Jüngeren und Ahnungsloseren die Früchte meines Lernens und meiner Erfahrung weitergebe? Vielleicht ist Lehren wirklich eine gemeinsame Erfahrung von Alteren und Jüngeren, ja vielleicht liegt alles Lernen in dem, was sie miteinander und aneinander erfahren. Ich meine damit natürlich nicht, wie so viele Mädchen hier, endlose Sitzungen, bei denen jeder redet und keiner zuhört, geschweige denn etwas lernt. Ich meine eine disziplinierte Form von Seminar, in der ein Mensch, Sie, zum Beispiel, moderiert, referiert und die Schritte festlegt, immer mit der Hoffnung, daß Sie, wie auch die Schüler, zu neuen Einsichten über die Antigone gelangen, die keinem der Beteiligten allein möglich gewesen wären.«
    »Nun«, sagte Kate voll Bewunderung für die beiläufige Art, in der ihr Anweisungen für dieses Seminar gegeben wurden, »es besteht sicher keine Gefahr, daß ich mich als Expertin für das Leben und die Gewohnheiten der Griechen aufspiele – und selbst wenn ich Expertin wäre, wäre der größte Teil meiner Erkenntnisse einfach nachzulesen. Ich bin inzwischen überzeugt, daß unsere herkömmlichen Vorstellungen vom Unterrichten aus einer Zeit stammen, in der es so wenige Bücher gab, daß nur irgendein Priester sie lesen konnte; der hat dann das Wissen an die anderen weitergegeben, die wissensdurstig, aber bücherlos waren. Das ist zweifellos der Grund, warum man von Vorlesungen spricht – die zu unserem Leben genauso passen wie diese irrwitzigen Talare, die für zugige Klöster entworfen wurden und in denen wir heute unter heißer Junisonne herumspazieren. Wie dem auch sei, ich hoffe, es tut Ihnen nicht leid, daß Sie mich gefragt haben. Ich habe Angst, mich vor der Klasse wie ein Mauerblümchen aufzuführen, das nicht weiß, was es sagen soll, wenn es zum Tanz aufgefordert wird.«
    »In der akademischen Welt sind Sie wohl kaum ein Mauerblümchen. «
    »In diesem Teil der akademischen Welt bin ich es; die Schüler sind jung, so sicher, so mit sich selbst beschäftigt. Das müssen sie auch sein, wenn sie das Erwachsenwerden überleben wollen. Aber ich weiß nicht, ob ich ihre Sprache besser verstehe als ihre Tänze.«
    »Sie sollten nicht soviel darauf geben«, sagte Miss Tyringham; »Ihnen steht noch immer die Waffe des Benotens und Beurteilens zur Verfügung. Außerdem ist die gute alte Scheu des Schülers vor dem Lehrer noch nicht völlig ausgestorben. Ich bin jedoch der Meinung, daß es heute neue Formen des Dialogs gibt, auch auf schulischer Ebene. Soweit meine hoffnungsvolle Rede.«
    »Ich freue mich, daß Sie noch hoffnungsvolle Reden halten können. Wir, Reed und ich, haben einen Neffen am
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