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Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Titel: Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Autoren: Karl Olsberg
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Atombomben-Abwurf nicht in erster Linie dem praktisch bereits besiegten Feind Japan galt, sondern dem neuen Feind Sowjetunion. Laut Leo Szilard soll US-Außenminister Byrnes gesagt haben: »Wenn wir mit der Bombe rasseln, werden die Sowjets fügsamer.« Die USA wollten ihre militärische Überlegenheit demonstrieren, um eine Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern. Sie wollten möglichst große Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung erreichen, um die Vernichtungskraft und Macht dieser Waffe zu demonstrieren. Es gab sogar Pläne, die Bombe mit einem Sirenenton auszustatten, damit möglichst viele Menschen bei ihrem Abwurf in den Himmel sahen und durch den grellen Blitz erblindeten. Diese Pläne wurden verworfen, doch die Auswirkungen auf unschuldige Menschen waren dadurch kaum weniger schrecklich.
    Wie wir heute wissen, haben die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vor allem bewirkt, dass die Sowjetführung, wie von Szilard vorausgesehen, mit aller Macht in den Besitz des Atombomben-Mems kommen wollte, was ihr kurz darauf auch gelang. Heute würden Terroristen sicher alles tun, um eine solche Waffe in die Hände zu bekommen. Gerade der Schrecken dieses Mems fördert also seine Ausbreitung.
    Auf eine perfide Art hat selbst die Atombombe aber auch Gutes bewirkt. Sie hat der Völkerverständigung gedient, indem sie uns verdeutlichte, dass der »totale Krieg« seit ihrer Erfindung keinen Sieger mehr kennt und niemand sich vor ihren schrecklichen Auswirkungen verstecken kann. Möglicherweise hat sie einen verlustreichen konventionellen Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion verhindert. Die Gefahr eines Atomkriegs war einer der Faktoren, die zur Gründung der Vereinten Nationen und des Weltsicherheitsrats führten. Die Atombombe hat uns wie keine andere Erfindung deutlich gemacht, dass wir nicht alles machen dürfen, was wir machen können - dass die memetische Evolution auch ihre Grenzen braucht.
    Dennoch wünscht sich wohl jeder vernünftig denkende Mensch, dieses Mem hätte nie seinen Weg in unsere Köpfe gefunden. Der Bau der Atombombe mag einigen tatsächlich wie eine gute Idee erschienen sein; er war es definitiv nicht.
    Wie schwierig es ist, zwischen »gut« und »schlecht« zu unterscheiden und dabei die Folgewirkungen von Entscheidungen zu berücksichtigen, zeigte der Psychologe Dietrich Dörner in einer Reihe von bemerkenswerten Experimenten Mitte der achtziger Jahre. Er entwickelte am Computer ein Simulationsmodell, das die armseligen Lebensumstände des fiktiven afrikanischen Volkes der Moros abbildete. Testpersonen ohne Hintergrundwissen der Lebensumstände in Afrika sollten als »virtuelle Entwicklungshelfer« versuchen, das Schicksal der Moros zu verbessern. Dazu konnten sie mit einem bestimmten Ent-wicklungshilfe-Budget beispielsweise Brunnen bohren, die Tsetsefliege bekämpfen oder die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung verbessern.
    Es zeigte sich, dass fast alle Versuche, das Leben der Moros zu verbessern, in die Katastrophe führten. Der Grund war, dass die Testpersonen die indirekten Folgen ihrer Handlungen nicht einschätzen konnten. Wenn sie beispielsweise die Tsetsefliege bekämpften, senkte das die Rindersterblichkeit. Die Rinder vermehrten sich stark, doch die vorhandenen Weiden konnten sie nicht mehr ausreichend ernähren. In ihrer Not fraßen die Tiere nicht nur das Gras, sondern auch die Wurzeln der Pflanzen, was zu einer Versteppung der Weiden, zu einem Verhungern der Rinder und damit zum Ende der Moros führte. Eine auf den ersten Blick positive Veränderung - die Ausrottung des Überträgers einer tückischen Krankheit - führte zu einer katastrophalen Veränderung des komplexen dynamischen Systems.
    Dörner zeigte nicht nur, wie schwierig es ist, in einer komplexen Situation richtige Entscheidungen zu treffen. Er belegte auch, dass Menschen mit einer solchen Situation nur sehr schlecht umgehen können. Wir neigen dazu, uns ein inneres Bild der vermuteten Zusammenhänge zu machen, und suchen dann selektiv nach Bestätigungen dieser Theorie. Alles, was nicht ins Bild passt, blenden wir aus. Dörners Testpersonen fragten zu Beginn des Experiments noch sehr viel zu den Umständen der Simulation und versuchten, sich durch Reflexionen ein Modell der Zusammenhänge zu erstellen (eine genaue Beschreibung der Wirkungszusammenhänge erhielten sie nicht). Doch je weiter die Simulation fortschritt, desto sicherer waren sich die Teilnehmer, das Richtige zu tun, zumal sie von
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