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Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Titel: Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Autoren: Karl Olsberg
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betreffende Mem aufgenommen und weitergegeben hat.
    Jede Veränderung hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen, sondern erzeugt auch indirekte Reaktionen und Gegenreaktionen, die sich in einem komplexen, dynamischen System zu kaum vorhersehbaren Turbulenzen aufschaukeln. Das lässt sich am Beispiel fast jeder Technik demonstrieren.
    Nehmen wir etwa das Auto. Schon bei seiner Einführung gab es die Sorge vor stinkenden, lauten Städten und Unfällen, die sich im Großen und Ganzen bewahrheitet hat. Diese unmittelbaren Auswirkungen waren gut vorhersehbar, wurden jedoch durch die ebenso klaren Vorteile der Mobilität mehr als kompensiert.
    Das Auto-Mem hatte jedoch sehr viel weiterreichende, kaum im Voraus absehbare Folgen. Der Autoverkehr brauchte neue Straßen, die ganze Industrien schufen, Landschaften und Städte nachhaltig veränderten. Das Auto war eine der ersten komplizierten Maschinen, die in großer Stückzahl hergestellt wurden, was Henry Ford veranlasste, die Fließbandfertigung zu erfinden und damit die gesamte Industrielandschaft zu verändern. Umhüllt von Panzer-platten, mechanisierte es den Krieg, machte Fußsoldaten buchstäblich zu »Kanonenfutter«. In seiner Variante als Traktor revolutionierte es die Landwirtschaft und führte dazu, dass heute nicht mehr 95 Prozent der Menschen für die Ernährung der restlichen 5 Prozent arbeiten müssen, sondern umgekehrt nur noch 5 Prozent benötigt werden, um die übrigen zu ernähren.
    Das Auto entfachte einen ungeheuren Hunger nach Öl, der das globale Kräfteverhältnis bis heute prägt, zu mehreren Kriegen geführt hat und auch ein Grund für die zunehmenden Spannungen zwischen den großen Weltreligionen ist. Es ist eine der Hauptursachen für die Umweltverschmutzung und das Aussterben zahlloser Tierarten. Gleichzeitig begünstigte es wie keine andere Erfindung die industrielle Arbeitsteilung, die letztlich zur Globalisierung führte. Und auch dies ist ein zweischneidiges Schwert: Während Kritiker die Verschärfung der Kluft zwischen Arm und Reich und einen neuen Imperialismus internationaler Konzerne anprangern, ist kaum zu bezweifeln, dass der globale Handel und die wirtschaftliche Macht der Demokratie große Weltkriege wie die des letzten Jahrhunderts haben unwahrscheinlicher werden lassen.
    Man kann einwenden, nicht allein das Automobil hätte all diese Veränderungen bewirkt, was sicherlich stimmt. Die Erkenntnis aber bleibt, nach der die Auswirkungen einer neuen Technologie außerordentlich komplex sind und praktisch nie nur positiv oder negativ sein können.
    Das Beispiel virtueller Welten verdeutlicht uns ebenfalls, wie nah Fluch und Segen einer neuen Technologie beieinanderliegen. Wir können durch Simulation biochemischer Vorgänge neue Medikamente viel schneller entwickeln und laufen gleichzeitig Gefahr, einen beträchtlichen Teil der Kreativität und Produktivität junger Menschen aufgrund von Realitätsflucht zu verlieren. Virtuelle Welten bieten Entspannung und Vergnügen, können einsamen Menschen neue Kontakte bringen und dennoch zu Sucht und Vereinsamung führen.
    Es gibt Meme, die so offensichtlich bösartig sind, dass man sich ernsthaft fragt, wieso irgendjemand jemals auf sie »hereinfallen« konnte. Wir haben bereits das Beispiel der Herstellung von Drogen diskutiert. Ein anderes, extremes Beispiel ist die Atombombe. Ihre Erfindung hat zum ersten Mal einer Spezies die Möglichkeit gegeben, sich vollständig selbst zu vernichten. Mindestens zwei Mal - während der Kubakrise 1962 und aufgrund einer gefährlichen Verkettung von Missverständnissen im November 1983 -stand die Welt dicht vor dem Abgrund eines Atomkriegs. Noch heute gibt es etwa 30000 Atomsprengköpfe auf der Welt, von denen die meisten ein Vielfaches der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe haben. Mehr als genug, um die ultimative Katastrophe auch heute noch Realität werden zu lassen. Alle Versuche, das Atombomben-Mem in seiner Ausbreitung zu beschränken, wie etwa der AtomwaffenSperrvertrag, erwiesen sich als vergeblich. Totalitäre Regime wie Iran und Nordkorea sind offensichtlich im Besitz dieser Meme und bieten ihnen einen guten Nährboden. Nach der Meinung von Sicherheitsexperten ist es nur eine Frage der Zeit, bis Terroristen irgendwann die ultimative Bombe in die Hände bekommen und sie einsetzen.
    Das Beispiel zeigt eine besondere Eigenschaft von Me-men, die sie mit Bakterien und Schimmelpilzen gemeinsam haben: Sind sie erst einmal in der Welt, wird man sie nicht so
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