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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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verkündete ein mächtiger synthetischer Baß die nahende Entsühnung und höchste Erfüllung aller Vergemeinschaftung, das Kommen des Zwölf- in- Einem, die Fleischwerdung des Größeren Seins. »Rutschiputschi«, sang die Stimme, während die Tamtams ununterbrochen in einem fieberhaften Zapfenstreich dröhnten: Rutschiputschi, welch ein Fordsspaß, Mann und Weib Befreiung findet Durch die Allmacht Seines Worts, das, Rutschiputschi, euch verbindet.
    »Rutschiputschi.« Die Tänzer wiederholten den liturgischen Kehrreim.
    Während sie sangen, verblaßten die Lichter, sie verblaßten und wurden zugleich wärmer, strahlender, röter, bis die zwölf Tänzer sich schließlich im Purpurdunkel eines Embryonendepots bewegten. »Rutschiputschi...«In blutroter Finsternis kreisten sie noch eine Weile, klopften immerzu den endlosen Rhythmus, dann ging ein Schwanken durch den Reigen, der Kreis riß, löste sich, und seine Teile sanken paarweise auf die Sofas, die als äußerster Kreis den runden Tisch und seine Stuhlplaneten umgaben. »Rutschiputschi...« Zärtlich gurrte und girrte der tiefe Baß. Im rötlichen Dunkel schien es, als schwebe eine riesige Negertaube voller Wohlwollen über den nun bäuchlings oder rücklings hingelagerten Tänzern. Sie standen auf dem Dach; der Große Henry hatte soeben zwölf gesungen. Die Nacht war still und warm.
    »War es nicht wundervoll?« meinte Monisma Haeckel.
    »Einfach wundervoll?« Sie sah Sigmund hingerissen an, aber ihre Verzückung war frei von Unruhe oder Erregung; denn Erregung bedeutet mangelnde Befriedigung, wogegen ihr die stille Ekstase der Erfüllung zuteil geworden war, nicht bloße Sättigung und Auflösung, sondern der Friede der Ausgeglichenheit, der im Gleichgewicht ruhenden Lebensenergien. Ein üppiger, lebensvoller Friede.
    Denn die Eintrachtsandacht gab, wo sie empfing; sie nahm nur, um zu schenken. So hatte auch Monisma ihr Wesen erfüllt, vollkommen gemacht, sie war auch jetzt noch mehr als nur sie selbst. »Fanden Sie es nicht auch wundervoll?«
    wollte sie durchaus wissen und sah Sigmund mit übernatürlich leuchtenden Augen an.
    »Ja, ich fand es wundervoll«, log er und sah weg. Der Anblick ihres verklärten Gesichts war zugleich Vorwurf und höhnende Erinnerung an seine eigene Besonderheit.
    Er war jetzt ebenso unerträglich einsam wie vor der Andacht - sogar noch mehr, wegen der unaufgefüllten Leere in ihm, der schalen Sättigung. Abgesondert und unentsühnt, während die anderen zum Größeren Sein verschmolzen waren. Einsam sogar in Morganas Umarmung, ja noch einsamer, noch hoffnungsloser er selbst als je zuvor. Aus dem purpurnen Dämmerlicht war er mit einem bis zur Qual verstärkten Wissen um sich selbst in das gewöhnliche grelle elektrische Licht hinausgetreten. Er fühlte sich restlos elend; und vielleicht - Monismas leuchtende Augen klagten ihn an - , vielleicht war es seine eigene Schuld. »Wirklich wundervoll!« wiederholte er. Aber er konnte an nichts anderes denken als an Morganas Braue.

Sechstes Kapitel
    »Merkwürdig, sehr, aber schon sehr merkwürdig«, lautete Leninas Urteil über Sigmund Marx. So merkwürdig, daß sie in der Tat während der folgenden Wochen mehr als einmal überlegte, ob sie nicht lieber, statt nach Neumexiko, doch mit Benito Hoover zum Nordpol fliegen solle. Das Dumme dabei war nur, daß sie den Nordpol schon kannte, erst vergangenen Sommer mit Fordlieb Edison dort gewesen war und - das Allerdümmste! - die Gegend äußerst öde gefunden hatte. Keine Unterhaltung, das Hotel unmöglich altmodisch, Schlafzimmer ohne Fernsehapparat, keine Duftorgeln, nur die abgestandenste Kondensmusik und im ganzen nicht mehr als fünfundzwanzig Rolltreppenkegelbahnen für über zweihundert Gäste. Nein, noch einmal auf den Nordpol, das hielte sie entschieden nicht aus. In Amerika war sie dagegen nur einmal gewesen, und das auch nur auf vollkommen unange messene Art und Weise. Ein billiges Wochenende in New York mit Jean-Jacques Rathenau, oder war es Bokanowsky Liebig gewesen? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Es war auch gar nicht wichtig.
    Die Aussicht, wieder nach Amerika fliegen zu können, noch dazu für eine volle Woche, war höchst verlockend.
    Und vor allem würden sie mindestens drei Tage in der Wildenreservation verbringen. Aus der ganzen Zentrale waren nicht mehr als ein halbes Dutzend Leute je in einer Reservation gewesen. Sigmund, als alpha-plus Psychologe, war einer der wenigen Männer ihrer Bekanntschaft, die Anspruch auf
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