Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
Vom Netzwerk:
traf auf einen Stein; er bückte sich, um ihn aufzuheben. »Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen...?«
    Ein Summen über seinem Kopf hatte sich in Dröhnen verwandelt. Plötzlich stand er im Schatten, etwas war zwischen ihn und die Sonne geraten. Überrascht sah er von seiner Arbeit und seinen Gedanken auf, sah geblendet und staunend empor, in Gedanken noch immer jene andere, mehr als wahre Welt durchwandernd, sein Denken noch immer auf die Unermeßlichkeit des Todes und der Gottheit gerichtet. Und da erblickte er dicht über sich den Flugzeugschwarm. Wie Heuschrecken kamen sie heran, schwebten über ihm, landeten ringsumher auf der Heide.
    Und diese Riesenheuschrecken spien aus ihren Bäuchen Männer in weißen Viskoseflanellhosen. Frauen in Azetatschantung-Strandanzügen - denn es war heiß - oder in Samthosen und ärmellosen, halb aufgezippten Blusen; jedem Flugzeug entstieg ein Paar. Nach wenigen Minuten waren sie zu Dutzenden da, standen in großem Kreis rings um den Leuchtturm, gafften und grinsten, ließen ihre Kameras klicken und warfen dem Wilden, wie einem Affen, Erdnüsse, Sexualhormon-Kaugummi und Panglandulinkeks zu. Und mit jedem Augenblick wurden es immer mehr - der Luftverkehr über dem Wilseder Berg hörte jetzt gar nicht mehr auf. Wie in einem Alptraum schwollen die Dutzende zu Hunderten an. Der Wilde hatte Deckung gesucht und stand nun gleich einem gestellten Wild, den Rücken an der Leuchtturmmauer, und starrte mit sprachlosem Grauen, wie von Sinnen. Aus seiner Erstarrung weckte ihn der Anprall eines wohlgezielten Kaugummipäckchens an seiner Wange zum Bewußtsein der unmittelbaren Wirklichkeit. Ein qualvoller Schock - und er war wach, ganz wach und außer sich vor Wut.
    »Fort mit euch!« brüllte er.
    Der Affe hatte gesprochen! Das Publikum schrie vor Lachen und klatschte Beifall. »Bravo, Wilder! Hoch soll er leben!« Und aus dem Stimmbabel hörte er Schreie: »Die Geißel! Raus mit der Geißel!«
    Das Wort brachte ihn auf eine Idee; er riß das Bündel geknoteter Stricke vom Nagel hinter der Tür und schüttelte es gegen seine Peiniger.
    Spöttischer Beifall gellte.
    Drohend näherte er sich ihnen. Ein Mädchen schrie erschrocken auf. Der Kreis wankte an der bedrohtesten Stelle, kam wieder zum Stehen, stand unerschütterlich.
    Das Bewußtsein ihrer überwältigenden Mehrheit gab diesen Ausflüglern einen Mut, mit dem der Wilde nicht gerechnet hatte. Ratlos blieb er stehen und blickte umher.
    »Warum laßt ihr mich nicht in Ruhe?« Fast klagend fragte er es in seinem Zorn.
    »Ach, versuchen Sie doch ein paar Magnesiumsalzmandeln!« begütigte der Mann, der, falls der Wilde losginge, als erster drankäme. Er hielt ihm das Tütchen hin. »Wirklich prima«, ergänzte er mit einem nervösen, versöhnlichen Lächeln. »Und Magnesiumsalze erhalten jung.«
    Der Wilde beachtete das Angebot nicht. »Was wollt ihr von mir?« fragte er, sich von einem grinsenden Gesicht zum nächsten wendend. »Was wollt ihr nur von mir?«
    »Die Geißel«, antworteten hundert Stimmen durcheinander. »Machen Sie doch mal das mit der Geißel! Die Geißelnummer!«
    Dann, im Chor, in langsamem, wuchtigem Rhythmus:»Raus-mit-der-Geißel!« Eine Gruppe am Ende der Reihe brüllte es. »Raus-mit-der-Geißel!«
    Sogleich griffen andere den Ruf auf, die Worte wurden wie von Papageien wiederholt, unzählige Male, schwollen machtvoll an, bis nach der siebenten, achten Wiederholung kein anderes Wort mehr ertönte als: »Raus-mit-der-Geißel!«
    Nun schrien sie alle wie aus einer Kehle, und trunken von Lärm, Einmütigkeit und rhythmischer Verzückung hätten sie offenbar stundenlang weiterschreien können, fast bis in alle Ewigkeit. Aber nach der fünfundzwanzigsten Wiederholung gab es eine unerwartete Unterbrechung. Über den Hügeln war noch ein Helikopter erschienen, schwebte über der Menge und senkte sich dann, ein paar Schritte von dem Wilden entfernt, auf den freien Platz zwischen dem Kreis der Ausflügler und dem Leuchtturm. Das Brausen der Propeller übertönte für einen Augenblick die Rufe, aber als die Maschine gelandet und die Motoren abgestellt waren, wurde es von neuem, mit der gleichen lauten, beharrlichen Eintönigkeit, hörbar: »Raus-mit-der-Geißel!«
    Die Hubschraubertür öffnete sich, zuerst stieg ein blonder, rotwangiger junger Mann aus, dann, in grünen Samthosen, weißer Hemdbluse und Jockeimütze, ein Mädchen.
    Beim Anblick des Mädchens fuhr der Wilde zusammen, wich zurück und erbleichte.
    Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher