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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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niederträchtigen Radau.«
    »Aber das Lied ist doch so hübsch. Und ich will gar nichts betrachten.«
    »Aber ich«, beharrte er. »Ich habe dabei ein Gefühl, als...« er zögerte, suchte nach dem richtigen Ausdruck, »... als wäre ich mehr ich selbst, wenn du das verstehen kannst. Als wäre ich etwas Selbständiges, nicht nur ein Teilchen von etwas anderem. Nicht mehr nur eine Zelle im sozialen Organismus. Fühlst du das nicht auch, Lenina?«
    Lenina schluchzte. »0 wie schrecklich«, wiederholte sie immer wieder, »wie schrecklich! Und wie kannst du solche Dinge sagen, kein Teil des Ganzen sein zu wollen? Jeder arbeitet doch für jeden. Wir können niemanden entbehren.
    Sogar Epsilons -«
    »- sind nützlich. Ich weiß«, spottete Sigmund. »Und ich bin auch nützlich. Aber verflucht noch mal, ich wollte, ich war's nicht!«
    Lenina war über diese Blasphemie entsetzt. »Sigmund!«
    protestierte sie tief betroffen. »Wie kannst du nur?«
    »Wie kann ich nur?« wiederholte er in verändertem Ton, nachdenklich. »Nein, die eigentliche Frage heißt: Wie kommt es, daß ich nicht kann, oder vielmehr - denn ich weiß schließlich ganz genau, warum ich nicht kann - : Wie wäre es, wenn ich könnte, wie ich wollte; wenn ich frei wäre, nicht mehr der Sklave meiner Normung?«
    »Sigmund, du sagst so grauenhafte Sachen.«
    »Möchtest du nicht frei sein, Lenina?«
    »Ich verstehe dich nicht. Ich bin frei. Frei, um mich herrlich zu unterhalten. Jeder ist heutzutage glücklich.«
    Er lachte bitter. »Ja, jeder ist heutzutage glücklich. Bei den fünfjährigen Kindern fangen wir damit an. Aber möchtest du nicht frei sein, um auf irgendeine andere Art glücklich sein zu können, Lenina? Auf deine eigene Art etwa, nicht auf jedermanns Art?«
    »Ich verstehe dich nicht«, wiederholte sie. Dann wandte sie sich ihm zu und flehte: »Bitte, fliegen wir heim, Sigmund! Hier ist es gräßlich.«
    »Bist du nicht gern bei mir?«
    »Aber natürlich, Sigmund! Nur diese Gegend ist furchtbar.«
    »Ich dachte, wir würden hier - einander näher sein.
    Nur wir beide und das Meer und der Mondschein. Einander näher als zwischen den vielen Leuten, näher sogar als in meinem Zimmer. Verstehst du das nicht?«
    »Gar nichts verstehe ich«, widersprach sie entschieden, fest entschlossen, sich ihre Verständnislosigkeit nicht rauben zu lassen. »Ganz und gar nichts. Am allerwenigsten«, fügte sie in verändertem Ton hinzu, »warum du nicht Soma nimmst, wenn du diese schrecklichen Gedanken hast. Du würdest sie vergessen und wärst vergnügt statt unglücklich. Und wie vergnügt!« wiederholte sie mit einem Lächeln, das trotz der angstvollen Ratlosigkeit in ihren Augen sinnliche Verheißung zeigen sollte.
    Unbewegt und sehr ernst sah er sie schweigend lange und aufmerksam an. Nach einigen Sekunden irrten Leninas Augen ab, sie lachte nervös und suchte vergeblich nach irgendeiner Bemerkung. Das Schweigen dauerte an.
    Endlich begann Sigmund mit leiser, müder Stimme wieder zu sprechen. »Gut also«, sagte er, »fliegen wir zurück!« Heftig gab er Gas, der Hubschrauber schoß raketengleich empor. In viertausend Meter Höhe setzte er den Propeller in Gang. Schweigend flogen sie ein paar Minuten. Plötzlich lachte Sigmund auf. Recht sonderbar zwar, aber es war immerhin ein Lachen.
    »Fühlst du dich jetzt wohler?« wagte sie zu fragen.
    Als Antwort nahm er eine Hand vom Schaltbrett, legte den Arm um sie und begann, ihre Brüste zu liebkosen.
    »Ford sei Dank«, sagte Lenina im stillen, »er ist wieder bei Sinnen!«
    Eine halbe Stunde später waren sie in seiner Wohnung.
    Sigmund schluckte vier Somatabletten auf einmal, schaltete Radio und Fernsehen ein und begann sich zu entkleiden.
    »Nun«, fragte Lenina ihn kokett, als sie sich am nächsten Nachmittag auf dem Dach trafen, »war es gestern nicht ein großer Spaß?«
    Sigmund nickte. Sie stiegen ins Flugzeug. Ein kleiner Ruck, und sie flogen ab.
    »Jeder sagt, ich sei so unerhört pneumatisch«, meinte Lenina nachdenklich und tätschelte ihre Schenkel.
    »Ganz unerhört.« Aber in seinem Blick lag Schmerz.
    »Wie ein Stück Fleisch«, dachte er.
    Sie sah ihn ein wenig betroffen an. »Aber du fndest mich doch nicht zu dick, nicht wahr?«
    Er schüttelte den Kopf. Ganz wie ein Stück Fleisch!
    »Also findest du alles in Ordnung?« Wieder ein Nicken.
    »In jeder Beziehung?«
    »Vollkommen«, antwortete er und dachte: »Sie selbst denkt von sich nicht anders. Es macht ihr nichts aus, ein Stück Fleisch
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