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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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genau!« Bücher und unerträglicher Lärm, Blumen und elektrische Schläge - schon der kindliche Verstand verband diese Begriffe miteinander, und nach zweihundert Lektionen dieser oder ähnlicher Art waren sie unlösbar miteinander verknüpf t. Was der Mensch zusammenfügt, das kann die Natur nicht trennen.
    »So wachsen sie mit einem, wie die Psychologen zu sagen pflegten, ›instinktiven‹ Haß gegen Bücher und Blumen auf. Wir normen ihnen unausrottbare Reflexe an. Ihr ganzes Leben lang sind sie gegen Druckerschwärze und Wiesengrün gefeit.« Der Direktor wandte sich an die Pflegerin. »Schaffen Sie sie hinaus!«
    Noch immer plärrend, wurden die Khakikinder wieder auf die Stummen Diener verladen und hinausgefahren; sie hinterließen den Geruch von saurer Milch und eine höchst willkommene Stille.
    Ein Student hob den Finger: Er sehe ja ein, daß es nicht gehe, Angehörige der niederen Kasten ihre der Allgemeinheit gehörende Zeit mit Büchern vergeuden zu lassen, ganz abgesehen von der Gefahr, daß sie etwas lesen könnten, das unerwünschterweise einen ihrer angenormten Reflexe beeinflussen könnte, und doch - nein, er verstehe das mit den Blumen nicht. Warum mache man sich die Mühe, die Psyche der Deltas darauf zu normen, daß sie keine Freude an Blumen hatten?
    Geduldig erklärte es der BUND. Kinder beim Anblick einer Rose in Schreikrämpfe zu versetzen, entsprang einer höchst ökonomischen Voraussicht. Vor gar nicht langer Zeit, etwa hundert Jahre war es her, hatte man Gammas, Deltas, sogar Epsilons die Liebe zu Blumen und überhaupt Freude an der Natur angenormt. Sie sollten das Bedürfnis haben, bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Grüne zu pilgern, und dadurch gezwungen werden, Verkehrsmittel zu benutzen.
    »Und benutzten sie sie?« fragte der Student.
    »Jawohl, ausgiebig«, erwiderte der BUND. »Aber sonst nichts.«
    Primeln und Landschaft, dozierte er, hätten einen großen Nachteil: sie seien gratis. Die Liebe zur Natur halte keine Fabrik in Gang. Man hatte daher beschlossen, die Liebe zur Natur abzuschaffen, wenigstens bei den niederen Kasten, nicht aber den Hang, die Verkehrsmittel zu benutzen. Denn es war natürlich unerläßlich, daß sie auch weiterhin ins Grüne fuhren, selbst wenn es ihnen zum Hals herauswuchs. Das Problem lag darin, einen triftigeren wirtschaftlichen Grund für die Benutzung der Verkehrsmittel zu finden als bloßes Wohlgefallen an Primeln und Landschaft. Man fand ihn denn auch.
    »Wir normen den Massen den Haß gegen landschaftliche Schönheiten an«, schloß der Direktor, »doch zugleich auch die Liebe zum Freiluftsport. Dabei achten wir darauf, daß jeder Sport den Gebrauch komplizierter Geräte nötig macht. Sie benutzen also nicht nur die Verkehrsmittel, sondern auch die Fabrikerzeugnisse. Und darum diese elektrischen Schläge.«
    »Ich verstehe«, sagte der Student und schwieg, von Bewunderung übermannt.
    Allgemeine Stille; der Direktor räusperte sich. »Vor langen Zeiten, als Ford der Herr noch auf Erden wandelte, lebte ein kleiner Knabe namens Rüben Rabinowitsch. Rüben war das Kind polnisch sprechender Eltern.« Er unterbrach sich. »Sie wissen doch, was Polnisch ist?«
    »Eine tote Sprache.«
    »Wie Deutsch oder Französisch«, ergänzte ein anderer, stolz auf sein Wissen.
    »Und Eltern?« forschte der BUND.
    Unbehagliches Schweigen. Einige der Studenten erröteten. Sie hatten noch nicht gelernt, den bedeutsamen, aber oft kaum merklichen Unterschied zwischen Unflat und reiner Wissenschaft zu erkennen.
    Endlich fand einer den Mut, die Hand zu heben.
    »Die Menschen pflegten damals -« er zögerte, das Blut stieg ihm in die Wangen, »- sie pflegten die Kinder auszutragen.«
    »Sehr richtig«, nickte der Direktor beifällig.
    »Und wenn die Babys entkorkt wurden -«
    »Geboren wurden«, verbesserte der Direktor.
    »- dann waren sie die Eltern. Nicht die Babys natürlich, die anderen meine ich.« Der arme Kerl war ganz verwirrt.
    »Kurz gesagt«, faßte der Direktor zusammen, »die Eltern waren der Vater und die Mutter.« Diese unflätigen Begriffe, die in Wirklichkeit streng wissenschaftlich waren, fielen wie Donnerkeile in das allgemeine verlegene Schweigen. »Die Mutter«, wiederholte er laut und rieb ihnen nochmals die Wissenschaft unter die Nase. »Ich weiß«, bemerkte er ernst, in seinen Stuhl zurückgelehnt, »ich weiß, das sind peinliche Dinge. Aber die meisten geschichtlichen Tatsachen sind peinlich.«
    Er kam wieder auf den kleinen Rüben zurück,
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