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Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s

Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s

Titel: Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s
Autoren: C Sievers
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Unterton und die fremden Gerüche nach Weihrauch und Moder.
    Nach dem Gottesdienst ging es zur Beichte, der ersten in Utes Leben. Geduckt saß sie im Beichtstuhl, von dem schnaufenden Pfarrer durch ein Scherengitter getrennt. »Hast du gesündigt, mein Kind?«, flüsterte es von gegenüber, und Ute nickte. Was Sünde war, wusste sie von der Großmutter, wenn man log und stahl und Unzucht trieb. »Sprich lauter, mein Kind«, befahl die Stimme, und Ute sagte: »Ja.« Der Pfarrer verstand sie, denn »ja« war eines der guten Wörter, so wie »vielleicht« eines der bösen war, die aus Utes Nase kamen statt aus dem Mund. »Hast du Unzucht getrieben?«, fragte die Stimme, und Ute sah, wie sich ein großes Ohr ans Scherengitter legte, um besser zu hören. »Ja«, flüsterte sie, und das Ohr hatte verstanden. »Wie hast du Unzucht getrieben?«, kam die Stimme, und Utes Herz klopfte, als sie stockend von den allabendlichen Umtrieben mit der Schwester berichtete. Das Ohr presste sich an das Gitter, so dass Ute kleine Borsten erkannte, die aus dem Gehörgang hervorsprossen, doch es half ihm nichts, es konnte die Worte des Kindes nicht deuten. Das Ohr verschwand im Dunkel, ein Räuspern, und die Stimme des Pfarrers verkündete die Buße: »Du sollst, wenn du Unzucht treibst, eine Kerze anzünden und sie brennen lassen und mir davon berichten bei der nächsten Beichte, und wehe, sie ist abgebrannt, so sollst auch du brennen in der Hölle.«
    Dann war Stille, und Ute wusste nicht, was tun, bis die Stimme befahl: »Geh jetzt!«
    Die Mutter wartete vor der Kirche, packte das Kind am Arm und zog es mit sich zur Schule.
    Dort wartete die Lehrerin auf die Katholiken, die immer am längsten brauchten, obwohl es nur wenige waren. Doch die Lehrerin hatte Verständnis, der Pfarrer nahm sein Amt ernst, und das brauchte Zeit.
    Als alle Kinder auf ihren Plätzen saßen, erhob die Lehrerin die Stimme und sprach vom Ernst des Lebens. Erklärte die Regeln, nicht lachen, nicht rennen und wehe, man widerspricht. Sie zählte die Strafen auf, einen Stockschlag für schmutzige Fingernägel und zehn für Widerrede.
    Dann sollten die Kinder sich erheben und den Namen sagen, eines nach dem anderen, Ute zuletzt, da sie ganz hinten saß. Sie stand gebeugt, den Blick gesenkt, und sagte »Ute«, eines der bösen Wörter, das klang wie »Upfe«, und die Lehrerin rief: »Wie bitte?« »Upfe«, kam es ein wenig lauter, und Ute verzog das Gesicht, um den Lauten den Weg ins Freie zu erleichtern. Die Kinder starrten, dann lachte das erste und schließlich alle. Die Lehrerin schlug mit dem Stock auf das Pult und rief: »Ruhe!«, nun waren sie still und spähten nur noch verstohlen zu dem Mädchen mit der Hasenscharte. Von da an schwieg Ute, bis sie vierzehn Jahre alt war, nicht einmal Marianne hörte mehr ihre Stimme.
    Auf dem Pausenhof stand Ute allein, einmal kam der Junge mit den dunklen Locken und umkreiste sie, bis eine johlende Horde von Kindern ihn mit sich zog.
    Am Nachmittag schlich sie auf den Friedhof und sammelte Kerzen, kleine, ewige Lichter in roten Gefäßen aus Kunststoff, die sie den Toten stahl und in ihre Taschen stopfte. Abends zündete sie die erste an, stellte sie neben das Bett, die Schwester und sie spielten Mutter und Onkel, jetzt bei Kerzenschein, so wie der Pfarrer es ihnen aufgetragen hatte.

1972/73
    Ute hasste die Schule, doch die Buchstaben, die sie liebte, gab es nur dort. Schon konnte sie lesen, hatte ihre Fibel zerfleddert und Marianne den Klang der Zeichen entlockt, die die Lehrerin in zermürbender Langsamkeit mit den Kindern erarbeitete. Bald kannte sie die Geschichten auswendig und sehnte sich nach neuen, stand im Konsum vor dem Zeitungsregal, unter den wachsamen Augen der Kassiererin, wurde verscheucht. Entdeckte im Kaufhaus Puck einen Ständer mit Kinderbüchern, die Bilder von Pferden und Mädchen mit schönen Gesichtern zeigten, wie sie gern eines gehabt hätte. Sie blieb nur kurz stehen und verließ dann den Laden, um am nächsten Tag wiederzukommen. Die Verkäuferinnen waren beschäftigt, eine schnitt Wurst an der Theke, die andere kassierte. Ute griff in den Ständer, packte ein Buch und ließ es blitzschnell unter dem Mantel verschwinden.
    Als sie sich umdrehte, stand da der Junge mit dem dunklen Haar, kaum größer als sie. Sie hatte ihn an der Tankstelle am Ortsausgang spielen sehen. Er starrte sie aus schwarzen Augen an, schwieg, sie verließ den Laden, den roten Kopf gesenkt, trat auf die Straße und rannte, ihre
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