Schnupperküsse: Roman (German Edition)
hinunter. »Guy!«
Er streift gerade das Melkzeug vom Euter einer Kuh ab und schaut mit hochgezogener Augenbraue fragend nach oben. Er hängt das Melkzeug auf den Haken und kommt herüber zu uns.
»Hallo, Jennie. Sophie … Georgia.
»Guy.« Meine Stimme überschlägt sich. »Hast du Adam gesehen?«
»Ach so, das ist also kein freundschaftlicher Besuch von Nachbar zu Nachbar? Nein, habe ich nicht. Und das auch schon seit geraumer Zeit. Ich hatte das Gefühl, du würdest ihm davon abraten, weiter hierherzukommen«, fährt er barsch fort und will sich wieder umdrehen.
»Guy, bitte …« Einen Moment lang befürchte ich, er würde mich einfach stehen lassen, doch irgendetwas hält ihn zurück, wahrscheinlich der dringliche Ton in meiner Stimme. »Adam ist verschwunden. Er hat Lucky und seine Brieftasche mitgenommen, das Handy aber dagelassen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich weiß nicht, wo er ist.«
In der nächsten Sekunde steht Guy neben mir oben auf der Bühne.
»Ganz langsam, Jennie. Fang von vorne an.« Er greift nach meinen Händen und hält sie sanft. »Jetzt erzähl weiter.«
»Ich bin zusammen mit Sophie und Georgia zur Rallye des Ponyklubs gefahren. Adam war zu Hause im Bett. Ich habe ihn dagelassen das hätte ich nicht tun sollen. Er war nicht glücklich.«
»Schhh«, sagt Guy. »Für Selbstvorwürfe ist jetzt keine Zeit!«
»Als wir zurückkamen, kümmerten wir uns erst um Bracken. Dann bemerkte ich, dass Lucky nicht gebellt hatte, und als wir ins Haus gingen, waren weder er noch Lucky da.« Ich erzähle ihm kurz von dem Brandy. »Er hat keine Nachricht hinterlassen, nichts. Guy, ich bin mit meinem Latein am Ende. Mittlerweile ist es dunkel und bitterkalt.«
»Mit wem ist er normalerweise zusammen? Könnte er bei Freunden sein und darüber die Zeit vergessen haben?«
»Er sagt immer wieder, dass er keine Freunde hat, außer Lucky.«
»Was ist mit Josh? Er spricht oft von ihm – beziehungsweise tat es … Könnte er nach London gefahren sein?«
»Ich glaube nicht, dass er genügend Geld hat, um sich eine Fahrkarte zu kaufen. Er hat vor kurzem seine Karte am Geldautomaten sperren lassen und wartet auf eine neue PIN -Nummer. Nein, er wird nicht weit gefahren sein – dann hätte er sein Handy mitgenommen.« Ich halte inne, ziehe meine Hände weg und schlinge die Arme um mich. »Guy, was, wenn er … Was, wenn er wieder getrunken hat und draußen ist und … sich verletzt hat?«
»Gib mir zwei Minuten«, erwidert Guy. »Ich lasse schnell die Damen hier heraus, und dann machen wir uns auf die Suche nach Adam.«
»Was ist mit den anderen Kühen?«, frage ich.
»Die werden noch ein wenig warten müssen. Ihre Milch wird nicht verloren gehen.« Guy lächelt kurz, und ich merke, dass auch er sich Sorgen um Adam macht.
»Wir fangen bei dir zu Hause an. Hast du schon in der Scheune nachgeschaut?«
»Nein«, antworte ich.
»Dann geht jetzt dort hin. Ich komme nach.«
Guy hält sein Wort. Als wir die Scheune fertig durchsucht haben, steht er auf dem Hof, und wir schauen vorsichtshalber noch einmal im Haus nach, ob Adam und Lucky zurückgekehrt sind, während wir draußen waren. Sind sie aber nicht.
»Jennie, warum wartest du mit den Mädchen nicht drinnen, falls Adam auf dem Festnetz anruft?« Guy stellt die Laterne auf dem Boden ab und streift sich den Mantel über seinen Overall. Sein Atem hinterlässt in der kalten Luft eine graue Wolke.
»Das kann ich nicht.« Ich werde keine Ruhe finden, solange ich meinen Sohn nicht gefunden habe. Ich schaue hoch zu den Sternen, die kalt und metallisch am Himmel leuchten, und auf die zackigen dunklen Konturen der Äste von den Bäumen. Mein Herz steht still. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich weiß nicht, wo wir hingehen sollen, wo wir beginnen sollen, doch Guy wandert schnurstracks über die Koppel zu dem kleinen Wald.
»Adam hat oft von dem Versteck gesprochen, dass er und Josh gebaut haben, als Josh hier war.«
»Das hat er mir gegenüber nie erwähnt.«
»Er erzählt mir viel, wenn er bei mir arbeitet …als er noch bei mir arbeitete«, sagt Guy, und ich beneide ihn um die Nähe zu meinem Sohn.
»Adam! Lucky!«, rufe ich, als Guy weitergeht und sich einen Weg durch das Unterholz bahnt, während die Mädchen und ich auf dem schmalen Pfad bleiben, der durch das Wäldchen führt.
Plötzlich bellt ein Hund in der Nähe, und mein Herz macht einen Satz.
»Lucky?«
Der Hund kommt herbeigestürmt und taucht im Strahl meiner Taschenlampe
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