Schnupperküsse: Roman (German Edition)
auf, dann schießt er wieder zurück in die Dunkelheit.
»Lucky, komm zurück! Hierher, mein Junge!«, sage ich verzweifelt, und er tippelt hechelnd und jaulend zurück, bevor er wieder davonjagt.
»Guy«, rufe ich. »Hier lang.«
»Wir haben Lucky gefunden«, schreit Georgia ihm zu, und steht innerhalb einer Sekunde neben mir.
»Wo lang?«
Ich zeige mit meiner Taschenlampe in Richtung Teich.
»Adam! Adam!« Ich lausche angestrengt, doch niemand antwortet.
»Adam!«, stimmen die Mädchen mit ein.
Guy drängt als Erster vor zum Teich, eine blanke, glitzernde Eisfläche, die im Licht des Halbmonds dunkel und silbrig schimmert. Ich sehe Guys Umrisse.
»Wo ist der Hund?«, ruft er.
»Da drüben, auf der anderen Seite.« Ich kann gerade noch so erkennen, wie er hin und her läuft. Als ich einen Schritt nach vorne mache, um besser sehen zu können, bemerke ich die Risse auf der silbrigen Oberfläche des Teichs und die dunkle eingebrochene Stelle in der Mitte, neben der zusammengesackt eine Gestalt liegt. Mein Herz steht still. Adam … »Ihr bleibt hier!«, sage ich zu den Mädchen. »Und rührt euch nicht vom Fleck!«
»Ja, Mummy«, versichert mir Sophie mit schwacher Stimme von hinten, als ich mir meinen Weg durch das verdorrte Schilf am Ufer bahne und einen Schritt nach vorne – knack – auf das Eis mache. In dem Moment packt Guy mich am Arm und zieht mich fluchend zurück.
»Mach bloß keine Dummheiten! Hol dein Handy heraus und ruf den Rettungsdienst an! Jetzt!«
»Mache ich schon«, wirft Georgia ein. Dann: »Ein Rettungswagen, bitte.«
Ich will ihr das Handy abnehmen, doch sie macht einen Schritt von mir weg und spricht weiter. Ich behalte sie mit halbem Auge im Blick, währenddessen ich hinüber zu Guy schiele, der zuerst am Ufer des Teichs entlanggeht, dann seinen Mantel aufs Eis wirft, sich anschließend darauf legt und vorsichtig sein Gewicht auslotet. Das Eis unter ihm knackt bedrohlich, als er einen Arm immer weiter ausstreckt, bis seine Fingerspitzen nur noch Zentimeter von der Gestalt mitten auf dem gefrorenen Teich entfernt sind.
Lebt er … lebt er noch?
Guy tastet sich weiter vor. Seine Finger berühren Adams Körper, er bekommt seine Jacke zu fassen. Während er sich wieder zurück auf dem Bauch in Richtung Ufer arbeitet, wo Lucky winselnd steht, zieht er Adam mit sich mit.
Plötzlich knackt es wieder, so laut wie ein Gewehrschuss.
»Oh bitte, Guy, sei vorsichtig!« murmle ich, denn ich weiß, das beide – sowohl mein geliebter Sohn als auch Guy – nur um eine Haaresbreite davon entfernt sind, einzubrechen und in das eisige, dunkle Wasser zu fallen.
»Mum, Mum!« Georgia zieht an meinem Mantel. »Wir müssen los und die Lichter im Hof für den Rettungswagen anmachen.«
Ich zögere, da ich den Gedanken nicht ertragen kann, von hier wegzugehen.
»Mum«, wirft Georgia ein, »Sophie und ich gehen los.«
»Hier, nimm die Taschenlampe!«, erwidere ich und halte sie ihr hin.
»Du kannst sie behalten – ich habe das Licht von meinem Handy.«
Mein Blick liegt gebannt auf Guy. Er ist fast zurück am Ufer. Es knackt noch einmal, doch sie haben es geschafft. Ich ziehe meinen Mantel aus und krabble zu ihnen vor.
»Hier«, sage ich, doch Guy hat Adams leblosen Körper bereits in seinen Mantel gehüllt. Er hat sich über Adam gebeugt und prüft seinen Puls. Die Haut über den Wangen meines Sohns ist gespannt, blass und fleckig, und die Pickel scheinen in dem Mondlicht blau-violett.
»Ist er …?« Ich sacke auf die Knie und greife nach seiner Hand, die kalt und schlaff ist. »Adam?«
»Er atmet, und ich kann auch seinen Puls spüren, aber er ist langsam.«
»Adam, kannst du mich hören?«, sage ich zu ihm und drücke verzweifelt seine Hand.
»Ich bin mir nicht sicher, ob er das kann«, meint Guy sanft zu mir. »Komm, Adam«, fährt er fort, »wir bringen dich nach Hause.«
Als Guy seine Arme unter Adam legt, ihn auf seine Schulter hebt und mit festem Schritt vorausgeht, frage ich mich, wie wir das schaffen wollen. Lucky folgt Guy dicht auf den Fersen, da er sein Herrchen nicht aus den Augen verlieren möchte. Ich habe das Gefühl, einen Albtraum zu erleben, über den ich keine Kontrolle habe.
Es gibt so viele offene Fragen. Was hat Adam auf dem Eis getan? Wie oft habe ich ihn auf die Gefahren hingewiesen? Das Wichtigste für mich ist jedoch jetzt, dass mein Sohn überlebt, es schafft, damit ich ihm sagen kann, dass das Leben lebenswert ist, egal, wie schlimm es auch sein
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