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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller
Autoren: Marc Raabe
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der Haustür, rotiert ein dunkelrotes Licht und lässt die Villa im Sekundentakt aufglühen.
    Die Taschenlampe zuckt durch die Dunkelheit des Kellerflurs, wie ein Finger aus Licht, der das schwarz glitzernde Kleid streift, das an einem Bügel hängt wie eine aufgeschlitzte Puppe. Das Foto, das mit einer Nadel am Kleid festgesteckt ist, sieht aus der Entfernung aus wie ein Stück Tapete. Es ist blass, und die Tinte des Druckers hat sich in das einfache Papier gesaugt, so dass die Farben stumpf sind, wie abgestorben.
    Das Kleid mit dem Foto daran schaukelt noch, der Bügel ist eben erst aufgehängt worden, und durch das Schaukeln wirkt es wie ein Windspiel. Lebendig und dennoch tot.
    Das Foto zeigt eine junge, sehr dünne und herzzerreißend schöne Frau. Ihre Figur ist schmal und fast knabenhaft, ihre Brüste sind klein und flach, und ihr Gesicht ist in Ausdruckslosigkeit erstarrt.
    Ihre sehr langen und sehr blonden Haare sind wie ein zerknittertes gelbes Laken unter ihrem Kopf. Das Kleid, das sie trägt, ist dasselbe, an dem nun dieses Foto mit einer Nadel befestigt ist. Es ist ihr wie auf den Leib geschneidert, es ist wie sie: fließend, extravagant, nutzlos und teuer. Und es ist auf der Vorderseite geöffnet, mit einem durchgehenden Schnitt, als hätte es einen offenen Reißverschluss.
    Ihre Haut unter dem Kleid ist ebenfalls geöffnet, mit einem scharfen Schnitt, ausgehend vom Schoß, übers Schambein bis hin zur Brust. Die Bauchdecke klafft auseinander, das fleischige Rot der Innereien ist in gnädige Dunkelheit gehüllt. Das schwarze Kleid umfließt den Körper wie der Tod. Ein perfektes Sinnbild, so wie der Ort, an dem das schwarze Kleid jetzt hängt und darauf wartet, von ihm gefunden zu werden: im Kadettenweg 107.
    Der Strahl der Taschenlampe richtet sich noch mal auf den klobigen grauen Kasten an der Wand und das angelaufene Schloss. Der Schlüssel hatte gepasst, ließ sich aber nur schwerfällig drehen, als müsste er sich erst erinnern, was seine Aufgabe ist. Eine unregelmäßige Reihe kleiner roter Birnen glimmt darin, drei sind kaputt. Zerfressene Wolframfädchen im Laufe der Jahre. Aber das macht nichts. Die Birne, auf die es ankommt, leuchtet.
    Eilig tastet sich der Strahl der Taschenlampe zurück zur Kellertreppe und die Stufen empor. Im Lichtkegel sind Fußspuren, und das ist gut so. Sie werden ihn leiten, wenn er hierherkommt, ihn die Kellertreppe hinabführen bis zum schwarzen Kleid. Und bis zum Foto.
    Er wird sich schlagartig erinnern. Seine Nackenhaare werden sich aufrichten, und er wird sich sagen: Das ist unmöglich.
    Und dennoch: Es ist so. Er wird es wissen. Schon alleine wegen des Kellers, auch wenn es nicht dieser Keller war. Es war ja auch nicht diese Frau. Und natürlich wird es auch eine andere Frau werden. Seine Frau.
    Und das an ihrem Geburtstag. Ein hübsches Detail!
    Doch das Beste ist, wie sich der Kreis schließt. Denn in einem Keller hat alles angefangen, und in einem Keller wird alles enden.
    Keller sind die Vorhöfe der Hölle. Und wer sollte das besser wissen als jemand, der seit einer Ewigkeit in der Hölle brennt.

Kapitel 2
    Berlin – 1. September, 23:11 Uhr
    Der Alarm ist inzwischen bereits neun Minuten alt. Jeder andere hätte auf dem Weg zum Wagen nach seiner Waffe gegriffen, wenigstens kurz, nur um zu fühlen, ob sie da steckt, wo sie für alle Fälle sein sollte: im Holster, direkt an der Hüfte.
    Gabriel greift nicht danach; er trägt keine Waffe. Seit er denken kann, bereiten Pistolen ihm ein tiefsitzendes Unbehagen. Ganz abgesehen davon, dass ihm wohl keine deutsche Behörde einen Waffenschein ausstellen würde.
    Das Wasser rinnt ihm bereits in den Kragen, als er den Wagen erreicht. Gabriel drückt den Fernauslöser für die Zentralverriegelung, und die Lichter flammen orange in der Dunkelheit auf. Er wirft sich in den Sitz und donnert die Fahrertür zu. Wasser spritzt von der nassen Gummifalz der Tür in sein Gesicht. Es gießt, als müsste der Himmel einen Flächenbrand löschen. Gabriel starrt in den Rückspiegel, wo seine Augenpartie wie ausgestanzt vor der Windschutzscheibe hängt.
    Er weiß, dass er sofort den Motor starten sollte, aber ein innerer Widerstand hindert ihn daran; unter seiner Haut fließt ein warnendes Kribbeln, wie ein elektrischer Strom. Irgendetwas stimmt hier nicht. Und das ausgerechnet heute. Ausgerechnet
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