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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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Patientenraum soll es nicht nach Rauch riechen, sonst wird den Patienten schlecht.« Er bietet mir eine Zigarette an.
    »Danke, ich rauche nicht.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    »Na ja. Bald wirst du rauchen, du wirst schon sehen. Hier rauchen alle.«
    Auf dem Weg zurück ins »Wohnzimmer«, wie Frank den Aufenthaltsraum nennt, erhalte ich auch schon die nächste Lektion. »Wenn ein Patient schwierig ist, bleibst du freundlich«, erklärt Frank. »Verstehst du?«
    »Ja klar.«
    »Auch wenn er aggressiv ist.«
    »Okay …« Ich versuche mir vorzustellen, welche Art Situation er meinen könnte.
    »Du hältst dann angemessenen Abstand, gehst dem Patienten notfalls sogar aus dem Weg – und bleibst freundlich. Auch wenn es an einem Einsatzort Konflikte zwischen Dritten gibt, hältst du dich raus, so weit es eben möglich ist. So etwas geht uns nichts an.«
    Ich nicke. Aber das scheint Frank mal wieder zu wenig zu sein.
    »Du bist Sani, nicht Polizist. Kapiert?«
    »Ja, kapiert.«
    »Und noch etwas, was du niemals vergessen darfst: Bevor du an einem Einsatzort den Wagen verlässt, achte genau auf den Verkehr. Du machst die Tür nur auf, wenn du sicher bist, dass niemand dicht am Auto vorbeifährt. Und du steigst nur aus, wenn klar ist, dass es für dich ungefährlich ist.«
    »Ja«, sage ich deutlich.
    »Nicht einfach ›Ja‹. Das ist wichtig! Also was hab ich gesagt?«
    Oh Mann, das nervt jetzt aber langsam … Ich bin ja nicht blöd.
    »Dass ich beim Aussteigen aufpassen soll«, antworte ich etwas verkürzt, aber bestimmt.
    »Ja, ja …«, sagt Frank. »Ihr Neuen seid immer sehr schlau.«
    »Seit wann bist du denn dabei?«, frage ich, um das Gespräch von mir abzulenken.
    »Ich bin von Beruf Krankenpfleger und mache das ehrenamtlich schon länger. Aber das letzte Jahr war ich in Südamerika. Und im Januar habe ich eine neue Anstellung, dann mache ich erst mal keine Dienste mehr.«
    Okay , denke ich, dann müssen wir ja nicht beste Freunde werden.
    In der Wache ist die Stimmung gelöst, ein älterer Kollege, Peter, ein Ehrenamtler, hat Geburtstag. Auf einem großen Tisch liegen »Brezen«, und Weißwürste wird es geben.
    Gegen ein deftiges Frühstück habe ich nichts einzuwenden. »Mit Kartoffelsalat?«, frage ich, nachdem ich Peter gratuliert habe.
    Mit einem Mal ist es still im Raum. Warum schauen mich alle so ungläubig an?
    »Weißwürste und Kartoffelsalat? Wo kommst du denn her?«, fragt Peter.
    »Aus der Stuttgarter Gegend«, antworte ich und halte mich jetzt erst mal mit weiteren Bemerkungen zurück.
    Als der Topf mit den Würsten auf dem Tisch steht, setze ich mich auf einen Bürostuhl in zweiter Reihe.
    Ich habe noch nicht mal die Hälfte meiner Wurst verdrückt, da klingelt ein Telefon, das grüne. Es ist das Leitstellentelefon, das nur Verbindungen zur Leitstelle, zur Polizei und zum Krankenhaus bereitstellt.
    »Notfall«, sagt Frank, der aufgestanden ist, um den Anruf entgegenzunehmen.
    »Für uns?«, frage ich aufgeregt und lege den Rest der Weißwurst auf den Teller zurück.
    »Nein. Für den RTW .«
    Die beiden Kollegen eilen auch schon zur Tür hinaus.
    »Wir räumen euer Zeug weg …«, ruft Frank ihnen hinterher.
    Aber da klingelt das Telefon noch einmal.
    »Jetzt ist es für uns«, sagt er nach dem Auflegen, und ich springe hastig auf.
    »Ganz ruhig, Junge.« Er lacht. »Ist nur eine Rückfahrt vom Krankenhaus in ein Altenheim. Du kannst noch schnell aufessen und die Teller wegräumen, ich geh schon mal ›auf Empfang‹.«
    Ein paar Minuten später hallt das Nageln des Dieselmotors an den Wänden der Halle, und Christian lenkt den KTW über den beleuchteten, mit einer leichten Schneedecke überzogenen Hof. Auf der Straße vor der Wache fädeln wir uns in den fließenden Verkehr ein. Ich sitze hinten im Patientenraum, sehe, wie sich das große Rolltor mit den Halteverbotsschildern hinter mir schließt, und lasse meinen Blick dann über die fliehende Straße schweifen. Schilder, Straßenlaternen, Häuser und Felder und andere Autos tauchen auf und verschwinden wieder. Das Schwarz der Nacht hat sich inzwischen in ein dunkles Wintermorgengrau verwandelt.
    Ich reibe die Hände, um sie ein wenig zu wärmen.
    »Wir rauchen mal eine«, sagt Frank und zieht die Scheibe, die den Patientenraum vom Fahrerbereich abtrennt, zu.
    Während wir durch die nächste Ortschaft fahren, fliegen meine Gedanken zurück. Im Sommer hatte man mir telefonisch mitgeteilt, dass sich meine Einberufung zum Zivildienst noch hinziehen
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