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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Stefan Holtkötter
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alten Mantel. Hubert hat das nicht verstanden, dabei war es ganz einfach.
Es gab keine Wahl, die ich hätte treffen können. Natürlich bin ich bei meinem
Jungen geblieben.«
    Hambrock dachte an die Fallakten, die er überflogen hatte. Martin
Probsts Taten waren dort aufgeführt gewesen. Jede einzelne Vergewaltigung, die
er begangen hatte, war so detailreich beschrieben, dass es unerträglich war,
die Berichte zu lesen. Dieser Mann hatte drei Frauen das Leben ruiniert, bevor
er gefasst und verurteilt worden war. Diese Frauen, ging es Hambrock nun durch
den Kopf, hatten ebenfalls Erfahrungen gemacht, die kein Mensch je machen
sollte.
    »Wenn Martin auf meine Entscheidung, ihn anzunehmen, nicht vertrauen
kann, worauf denn dann?«, fragte Dorothea Probst. »Was für ein Beispiel hätte
ich ihm gegeben, wenn ich mich gegen ihn entschieden hätte? Ihm, dem es
schwerfällt, Regeln einzuhalten und standhaft zu bleiben.« Sie schüttelte den
Kopf. »Solange ich ihm die Treue halte, gibt es noch Hoffnung. Verstehen Sie
das?«
    »Natürlich«, sagte Hambrock, doch er hörte selbst, dass es hohl
klang.
    Ein Schweigen entstand. Es war ihm unangenehm, aber er musste ein
weiteres Thema ansprechen. »Weiß Klara von Martins Flucht?«
    Klara Merschkötter war Martins erstes Opfer gewesen. Sechs Jahre war
es her, dass er das Mädchen aus der Nachbarschaft überfallen und vergewaltigt
hatte. Damals war Klara vierzehn gewesen, zwei Jahre jünger als ihr Peiniger.
    »Ich denke nicht, dass sie davon weiß«, sagte Dorothea Probst. »Brandenburg
an der Havel ist weit weg. Es kam ja auch nichts in den Nachrichten. Martin ist
schließlich nicht der Heidemörder.«
    Hambrock tastete sich weiter vor. »Nachdem Klara damals zur Polizei
gegangen war und Ihren Sohn angezeigt hatte, ist er völlig durchgedreht. Er hat
geschworen wiederzukommen, um sich an ihr zu rächen. Sicher erinnern Sie sich
daran.«
    »Aber das hat er doch nur in seiner Wut gesagt. Er weiß es besser.«
Plötzlich begriff sie, was Hambrock anzudeuten versuchte. »Sie meinen doch nicht …« Sie schüttelte heftig den Kopf. »O
nein, das würde er niemals tun. Er hat dem Mädchen damals schreckliches Leid
angetan. Das bedauert er zutiefst. Es tut ihm leid, was geschehen ist,
verstehen Sie? Er würde so etwas niemals wieder tun.«
    Hambrock verlor seine Professionalität. »Er hat es bereits wieder
getan, Frau Probst! Das muss Ihnen doch klar sein. Auch wenn die Frauen andere
Namen trugen. Es hat sich alles wiederholt.«
    »Er wird Klara nichts tun, das weiß ich genau. So ist es nun einmal,
auch wenn Sie daran zweifeln. Er wird Klara nichts tun.«
    Als Hambrock sich später auf den Heimweg machen wollte,
schien der Regen ein wenig nachgelassen zu haben. Aber vielleicht bildete er
sich das auch nur ein. In der offenen Haustür zögerte er, zu seinem Auto zu laufen.
    In die Geräusche des Regens mischten sich dumpfe Bässe. Die Melodie
eines Diskohits wehte zu ihm herüber. Er blickte hinaus in die Dunkelheit. An
der nahen Hauptstraße lag ein großer Bauernhof. Bunte Lichter leuchteten über
der Scheune, und eine Reihe von Autos parkte am Wegesrand.
    »Was ist denn da los?«, fragte er.
    Dorothea Probst trat neben ihn. »Drüben bei Burtrup? Dort findet
eine Party statt. Der Älteste, Jens Burtrup, hat heute Geburtstag. Das wird
natürlich groß gefeiert.«
    Hambrock schlug den Mantelkragen hoch. »Die Polizei wird morgen auch
mit Klara sprechen müssen und mit den anderen, die damals dabei waren. Ich
hoffe, Ihnen entstehen keine Unannehmlichkeiten, wenn die alten Geschichten
wieder aufgewühlt werden. Es lässt sich leider nicht vermeiden.«
    Sie nickte und sah zu Boden. In ihrer viel zu großen Strickjacke
wirkte sie ein wenig verloren.
    »Vielleicht haben sie Martin ja bereits gefasst«, sagte er zum
Abschied. »Und dann erledigt sich alles Weitere.« Er schenkte ihr ein Lächeln,
zog die Schultern hoch und lief eilig durch den Regen zu seinem Wagen.
    Die feuchte Kälte kroch von allen Seiten in die Scheune.
Klara wünschte, sie hätte sich einen wärmeren Pullover übergezogen. Sie fror.
Zudem bedrängte sie der viele Alkohol, den sie getrunken hatte, mit einem zähen
und drückenden Rausch. Sie blickte auf das Glas, das sie in der Hand hielt. Das
Bier darin war schal geworden und roch bitter. Am liebsten hätte sie es
ausgegossen.
    Doch sie musste durchhalten. Schließlich war sie die Gastgeberin, gemeinsam
mit ihrem Freund Jens, der heute Geburtstag hatte. Am Nachmittag
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