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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Stefan Holtkötter
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nur?«
    Er hob mühsam den Kopf und betrachtete sie. Sein Blick war wässrig
und leer, er sackte wieder neben der Schüssel zusammen.
    Klara atmete durch und legte ihn auf den Boden. Mit gerümpfter Nase
zog sie ihm die Kleider vom Leib und steckte sie anschließend in die
Waschmaschine. Sie versuchte, den nackten Körper in die Wanne zu stemmen, doch
Jens war ihr dabei keine Hilfe. Er ruderte mit den Armen und gab widerwillige
Laute von sich. Sie musste ihre gesamten Kräfte aufbieten, um seinen Körper
hochzuhieven, und schließlich rutschte er über den Wannenrand und fiel mit
lautem Poltern hinein.
    Sie rückte ihn so zurecht, dass sie ihm Gesicht und Oberkörper
abbrausen konnte. Er betrachtete verwirrt das Erbrochene auf seiner Haut.
    »Klara …?« Seine Stimme war
ängstlich und dünn.
    »Alles in Ordnung«, sagte sie und strich ihm durch die Haare.
    Zu ihrer Überraschung reichte dieser Satz aus, um ihn zu beruhigen.
Er schmiegte sein Gesicht an ihren Arm und seufzte. Sie spürte seine warme,
weiche Haut. Wie die Haut eines Kindes, dachte sie.
    »Es ist alles gut.« Und weil sie ganz sicher wusste, dass er sich am
nächsten Tag an nichts hiervon würde erinnern können, fügte sie leise hinzu:
»Ich liebe dich.«
    Seine Lider schlossen sich, und er sank mit einem zufriedenen
Lächeln gegen den Badewannenrand. Seine Atmung wurde ruhig und gleichmäßig. Sie
strich ihm sanft über die Wange. Für diesen Augenblick stimmt das sogar, dachte
sie. Doch das Gefühl würde sich verflüchtigen. Es würde sich auf die gleiche
Weise davonstehlen wie der Alkoholrausch ihres Freundes. Am nächsten Morgen
wäre alles vorbei, und es gab nichts, das sie dagegen unternehmen konnte.
    »Es tut mir leid«, sagte sie und küsste ihn auf die Stirn.
    Aber da war er bereits eingeschlafen.
    Einige hundert Meter von der Partyscheune entfernt,
versteckt hinter einem Buchenhain, lag ein kleiner Hof. Er wurde nicht mehr
bewirtschaftet, und die Wiese hinter den Stallungen war zu einer Pferdekoppel
für wohlhabende Städter und deren pferdebegeisterte Töchter umgewandelt worden.
Zu dieser späten Stunde war die Koppel jedoch verwaist, und auch in den Ställen
war nächtliche Ruhe eingekehrt. Lediglich im Wohnhaus des Hofs brannte noch ein
einzelnes Licht. Es strahlte in die regnerische Nacht hinaus und wirkte dabei
wie ein Leuchtfeuer.
    Eine einsame Gestalt stand verloren hinter dem Fenster und blickte
unbewegt in die Dunkelheit hinaus. Die Arme eng um den Oberkörper geschlungen
stand sie mit nackten Füßen auf dem kühlen Küchenboden. Brigitte Hahnenkamp war
erst Mitte fünfzig, doch ihr Haar hatte bereits einen ebenmäßigen, schneeweißen
Ton angenommen. Sie hatte ein sanftes, freundliches Gesicht, auch wenn sich in
dieser Nacht tiefe Sorgenfalten auf ihrer Stirn gebildet hatten.
    Sie wartete auf ihre Tochter, die am Abend mit dem letzten Bus aus
Münster eintreffen wollte. Es war bereits über zwei Stunden her, dass dieser
Bus Birkenkotten passiert hatte. Aber Sandra war noch immer nicht erschienen.
    Die Tür öffnete sich, und ihr Ehemann betrat die Küche. Hubert
Hahnenkamp hatte sich einen Morgenrock über den Pyjama geworfen.
    »Brigitte?«, fragte er mit kleinen Augen. »Bist du noch immer auf?«
    Sie antwortete nicht und starrte unverändert in die Nacht hinaus.
    »Sandra wird direkt zu der Party gegangen sein«, sagte er zum
wiederholten Male. »Bei diesem Wetter ist das nur normal. Die Haltestelle liegt
direkt hinter Burtrups Scheune. Ich wäre an ihrer Stelle auch sofort dorthin
gegangen. Glaub mir, wir werden sie morgen früh sehen, wenn sie wie alle
anderen ihren Rausch ausgeschlafen hat.«
    »Ja, wahrscheinlich hast du recht.«
    Dennoch rührte sie sich nicht vom Fleck.
    »Soll ich nicht doch bei Burtrup anrufen?«, fragte er. »Klemens
könnte kurz in der Scheune nachsehen, ob Sandra dort ist.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist viel zu spät, um noch bei ihnen
anzurufen. Klemens und Margit werden längst im Bett liegen und schlafen.«
    Eine Weile betrachtete er seine Frau.
    »Komm schon«, sagte er sanft. »Geh schlafen. Sandra ist auf der
Party, davon bin ich überzeugt.«
    »Also gut.« Sie gab nach. »Ich komme sofort.«
    Es sah aus, als wolle er noch etwas sagen, aber dann nickte er
lediglich, drehte sich um und verließ die Küche.
    Brigitte Hahnenkamp versuchte den Blick vom Fenster abzuwenden, doch
etwas ließ sie innehalten. Sie hatte plötzlich den Eindruck, dass sich draußen
etwas veränderte.
    Sie
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