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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Stefan Holtkötter
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fixierte die Regenschleier, die sich hinter ihrem Garten in der
Dunkelheit verloren. Eine Ahnung erfasste sie. Ohne etwas erkennen zu können,
war sie dennoch überzeugt: Dort draußen in ihrem Garten war jemand. Jeden
Moment würde ein Schatten auftauchen.
    Doch solange sie auch hinausblickte, es blieb alles unverändert.
Regen prasselte auf den Rasen nieder, und Wasser sammelte sich in den Senken
ihrer Beete.
    Du bildest dir das Ganze nur ein, sagte sie sich. Hubert hat recht,
es ist Zeit, zu Bett zu gehen. Mit einem leisen Aufseufzen wandte sie sich vom
Fenster ab, dann löschte sie das Küchenlicht und ging zu ihrem Mann ins
Schlafzimmer.

2
    Wieder dachte Hambrock an Klara Merschkötter, wie so oft
in den letzten vierundzwanzig Stunden. Er war allein im Umkleideraum des
Fitnessstudios und schlüpfte ohne wirkliche Lust in seine Sportsachen. In der
Luft lag der vertraute Geruch von Schweiß, Duschgel und Männersocken, doch wo
sich sonst verschwitzte Körper zwischen den Spinden drängten, war im Augenblick
alles verwaist.
    Sechs Jahre waren seit Klaras Vergewaltigung vergangen. Kaum
fassbar, wie schnell die Zeit verging. Man drehte sich einmal im Kreis, und
schon war wieder ein halbes Dutzend Jahre verflogen. Die Ermittlungen hatte er
damals aus der Distanz verfolgt, genau wie den Prozess, der Martin Probst
gemacht worden war. Währenddessen war er kein einziges Mal nach Birkenkotten
hinausgefahren, um nach dem Rechten zu sehen, und heute fragte er sich, ob das
richtig gewesen war.
    Sein Blick fiel auf die Spiegelwand, die an die rotlackierten Spinde
grenzte. Zumindest seinem Bauch waren die sechs Jahre anzusehen, die vergangen
waren. Im Licht der Leuchtstoffröhren glänzte er weiß und speckig und wirkte
wieder mal um einiges größer als bei der letzten eingehenden Betrachtung. Wie
viele Kilo mochte er in den letzten sechs Jahren zugenommen haben?
    Das Spiegelbild rief eine unangenehme Erinnerung hervor. Früher, auf
dem Bauernhof seiner Eltern, lagen neben der Güllegrube die aufgeblähten
Kadaver der verendeten Säue, bis sie von der Tierkörperverwertung abgeholt
wurden. Irgendwie sah sein blauweißer Bauch im fahlen Licht der Röhren ganz
ähnlich aus.
    Schnell griff er nach dem T-Shirt und zog es sich über. Seine Laune war endgültig verdorben.
    Dabei war sie in seinem dunklen Anzug noch zu erahnen, die gute
Figur, die er einmal besessen hatte. Er musste nur den Bauch einziehen und auf
eine gerade Haltung achten, dann sah er fast so aus wie früher, als er noch
alle Chancen bei den Frauen hatte.
    »Mach dir nichts draus, wir werden alle älter«, pflegte seine
Ehefrau Erlend zu sagen. »So ist nun mal das Leben. An mir geht es auch nicht
spurlos vorüber.«
    Das stimmte zwar, denn Ellis Hüften wurden immer breiter, und tiefe
Lachfältchen gruben sich in ihr Gesicht, dennoch schien sie mit den Veränderungen
nur sinnlicher und attraktiver zu werden.
    Hambrock wandte sich vom Spiegel ab und verließ den Umkleideraum.
    Auf der Fahrt zum Fitnessstudio hatte er noch geglaubt, zu dieser
frühen Stunde außer ein paar Rentnern niemanden anzutreffen. Doch das war ein
Irrtum gewesen, denn es tummelten sich zahllose durchtrainierte Frauen und
Männer im Sportbereich. Für einen Rückzug war es aber zu spät, und so betrat er
aufrecht die Arena, warf das Handtuch über die Schulter und ging würdevoll zur
Theke, um sich eine Wasserflasche zu besorgen.
    Hinter ihm ertönte eine Stimme. »Herr Hambrock?«
    Ein Streifenpolizist, den er bereits von einigen Einsätzen kannte,
auch wenn sie niemals ein privates Wort gewechselt hatten, lief strahlend auf
ihn zu und reichte ihm die Hand.
    »Ich wusste gar nicht, dass Sie hier trainieren, das ist ja eine
Überraschung.« Der Kollege deutete auf eine Gruppe junger Männer im
Hantelbereich. »Wir trainieren dort drüben, alle Männer aus der heutigen
Spätschicht. Kommen Sie doch zu uns!«
    Hambrock beobachtete, wie sich einer vor die Spiegelwand stellte und
mit selbstvergessenem Blick seine Oberarmmuskeln spielen ließ.
    »Danke, aber ich habe nur wenig Zeit heute. Ich will einfach schnell
aufs Laufband und dann unter die Dusche.«
    Der Beamte hob mit Bedauern die Schultern. »Schade. Aber vielleicht
ein andermal.«
    Hambrock lächelte verbindlich, dann drehte er sich um und ging zu
den Ausdauergeräten.
    Er war noch damit beschäftigt, die Anzeigen auf dem Display des
Laufbands zu verstehen, als sich in seiner Hosentasche geräuschvoll das
Diensthandy meldete. Eine
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