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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition)
Autoren: Sophia Farago
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vor. Ihre Augen leuchteten auf. Warum war sie nicht schon längst auf diese glänzende Idee gekommen? Wenn Mary Ann erst einmal mit einem passenden jungen Mann verheiratet war, dann konnte sie nach London gehen und ihr Debüt nachholen. Sie konnte frei über ihr Geld verfügen und sich in all die Vergnügungen stürzen, die ihr bisher verwehrt wurden. Mary Ann, die eben den Kleiderschrank wieder zugesperrt hatte, fuhr herum und blickte mit spöttischem Lächeln zu ihrer Freundin hinüber: »Was für eine großartige Idee! Und wer ist der Bräutigam, wenn ich fragen darf?«
    »Na, dein Bernard natürlich«, entgegnete Kitty, als sei dies das Natürlichste auf der Welt.
    »Bernard? Bernard Westbourne?« rief Mary Ann aus. »Du willst mir doch nicht im Ernst vorschlagen, daß ich Reverend Bernard Westbourne heiraten soll!«
    »Aber warum denn nicht?« entgegnete Kitty mit vor Begeisterung glühenden Wangen. »Du bist doch schon seit Jahren in ihn verliebt.«
    Mary Ann errötete leicht, widersprach jedoch nicht. »Er ist unser Lehrer. Er sieht mich als Schülerin wie jede andere auch. Er wird niemals um meine Hand anhalten.«
    »Aber natürlich wird er das!« rief Kitty aus. »Wir müssen es nur schaffen, daß er dich einmal nicht als Schülerin sieht. Wir müssen ein Treffen außerhalb dieses Gemäuers arrangieren. Ihn dazu bringen, dich als Frau zu sehen«, erklärte sie bestimmt. »Als sehr hübsche Frau…«
    »…mit zu breiten Hüften und einem üppigen Oberkörper, der ganz und gar nicht der herrschenden Mode entspricht«, vollendete Mary Ann diesen Satz. Es klang mutlos und bitter.
    Kitty wurde schlagartig ernst. »Wer sagt das?«
    »John sagt das«, erklärte Mary Ann. »Und das nicht nur einmal. Seit meinem zwölften Lebensjahr höre ich diese Kritik. Jedesmal, wenn ich ihn sehe.«
    »Dein Bruder ist ein Dummkopf«, erklärte Kitty in entschiedenem Tonfall. »Männer lieben Frauen mit großem Busen, das kannst du in jedem Roman nachlesen. Sieh mich an, ich bin so klein und zart. Jeder könnte mich für einen Knaben halten! Ich habe mir schon manchmal eine andere Figur gewünscht.«
    Mary Ann blickte fassungslos zu ihrer Freundin hinüber. Kitty war ein Bündel an Energie. Die dunklen großen Augen blickten interessiert und lebhaft aus ihrem feingeschnittenen Gesicht. Die langen, fast schwarzen Locken, die sie normalerweise im Nacken zusammengesteckt trug, hatten sich selbständig gemacht und fielen in dichten Wellen auf ihre Schultern. Die Lippen ihres vollen Mundes waren fein geschwungen und von einem natürlichen, leuchtenden Rot. Niemand konnte die südländische Herkunft ihrer spanischen Mutter übersehen. Und niemand hätte sie je für einen Knaben gehalten. Sie wollte ihr das eben sagen, als Kitty bereits weitersprach: »Weil wir gerade von Bernard reden«, sagte sie und nahm auf dem Stuhl vor dem hohen Spitzbogenfenster Platz, »ich habe ihn vor nicht ganz einer Stunde am Waldrand gesehen. Hinter dem kleinen Ententeich.«
    Mary Ann setzte sich ihr gegenüber: »Ach, er war es, den du gemeint hast, als du vorhin das Zimmer betratst.«
    »Ja und nein. Nein, eigentlich meinte ich jemand anderen.« Kitty beugte sich vor und sagte mit leuchtenden Augen: »Ich habe dir doch von dem Gentleman erzählt, mit dem ich vor zwei Tagen vor der Trinkhalle in Bath beinahe zusammengestoßen wäre? Jenem ungeheuerimposanten Herrn, mit den durchdringenden grauen Augen und den längeren, glänzenden braunen Locken?«
    Mary Ann nickte belustigt: »Nicht nur einmal, hundertmal.«
    »Ich habe ihn wiedergesehen.«
    »Er war mit Reverend Westbourne zusammen?« erkundigte sich Mary Ann interessiert. Kitty nickte. »Am Waldrand hinter dem Ententeich? Welch seltsamer Ort für eine Begegnung. Hast du mit den beiden gesprochen?«
    » No, no! Wo denkst du hin! Ich bin mit ›Salomon‹ hinter einer dichten Eibenhecke gestanden und habe mich mucksmäuschenstill verhalten. Bis das Pferd plötzlich unruhig wurde, weil ihm eine Biene zu nahe an die Nüstern gekommen war. Es begann laut zu wiehern. Jas blickte auf, und ich beeilte mich, so schnell ich konnte, das Weite zu suchen.«
    »Jas?« wiederholte Mary Ann irritiert.
    »Jas, der Gentleman, von dem ich dir erzählt habe. Reverend Westbourne nannte ihn so. Vermutlich ist sein wirklicher Vorname Jasper. Wir müssen in deinem dicken Buch über die adeligen Familien im Königreich nachschlagen. Sicher finden wir einen Jasper passenden Alters. Ich möchte so gerne wissen, wer er wirklich
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