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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition)
Autoren: Sophia Farago
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Pflichten es zuließen, auf dem ruhigen Weg entlang des Waldrandes spazierengegangen. Das kleine schwarze Büchlein in seiner Rechten, in das er während der Studienzeit Verse von Ovid geschrieben hatte und in das er sich immer wieder gerne vertiefte. Es war einer jener Spätherbsttage, in denen die schwachen Sonnenstrahlen kaum wärmend ihren fahlen Schein durch die dichte Wolkendecke warfen. Die Saatkrähen hatten schon Einzug gehalten und suchten mit lautem Gekreisch auf den abgeernteten Feldern nach übriggebliebenen Körnern. Bald würden die Tage kommen, an denen sich die dichten Nebel auch bis zum Nachmittag nicht auflösten. Tage, die er lieber vor dem wärmenden Kaminfeuer verbrachte und an denen er das Haus nur dann verließ, wenn unaufschiebbare seelsorgerische Pflichten dies erforderten.
    Doch noch war es nicht soweit. Noch luden einzelne Sonnenstrahlen zum Spazieren über Wald und Flur, boten ausgedehnte Wanderungen in der Natur willkommene Gelegenheit, seine Gedanken zu ordnen und Pläne für die Zukunft zu überdenken. Natürlich wäre er zu Hause geblieben, wenn er geahnt hätte, daß er an diesem Nachmittag Besuch erhalten würde. Seine eigenen vier Wände hätten ihm mehr Schutz vor dessen aufgebrachtem Zorn geboten – hier auf dem freien Feld war er dessen Launen nahezu schutzlos ausgeliefert.
    Justin Tamworth, der zweite Earl of St. James, hatte bereits am Vortag vergeblich im Pfarrhaus von Reverend Westbourne vorgesprochen. Mrs. Blooms, die Köchin, hatte ihm die Tür geöffnet, ihn jedoch nicht ins Haus gebeten. Weitschweifig, wie das ihre Art war, hatte sie Auskunft darüber gegeben, daß der Geistliche nach Bradford-upon-Avon gefahren war. Der alte Nichols würde begraben werden, der vergangene Woche von der Leiter gefallen war. Ob er denn das nicht wisse, da doch Mrs. Nichols auch Doctor Rilly-Bengstonfield hatte rufen lassen. Dabei hatte doch schon Mrs. Fisher, die Mutter von Mrs. Mouhan…
    Seine Lordschaft hatte nicht die Höflichkeit gehabt, der alten Frau länger zuzuhören. Er war derart erzürnt, den Pfarrer nicht zu Hause angetroffen zu haben, daß er sie grußlos in der offenen Tür stehenließ. Es war ihm nicht aufgefallen, daß er weder seinen Namen genannt noch angekündigt hatte, abermals vorsprechen zu wollen. Als der Geistliche am späten Abend erschöpft von dem langen Ritt nach Bredford-upon-Avon zurückgekommen war, hatte ihm Mrs. Blooms von dem seltsamen, ja geradezu furchteinflößenden Besucher erzählt. Mr. Westbourne konnte sich keinen Reim auf das Gehörte machen. Nie wäre ihm der Gedanke gekommen, bei dem aufbrausenden, unbeherrschten Fremden mit dem unhöflichen Betragen könnte es sich um Justin Tamworth gehandelt haben. Justin Tamworth, ein Freund aus seiner Studienzeit. Ein Mann, den er jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Tamworth hatte die Offizierslaufbahn eingeschlagen und in Spanien gegen Napoleon gekämpft. Später war er zurückgekehrt, um das nicht unbeträchtliche Erbe seines Vaters anzutreten und den Titel eines Earl of St. James zu übernehmen. Er, Westbourne, war inzwischen der Pfarrer der Gemeinde St. Ermins geworden, und es schien, als hätte er seinen Studienkollegen für immer aus den Augen verloren. Doch dann, vor drei Wochen, hatten sich überraschend ihre Wege wieder gekreuzt. Er war nach London gereist, da seine jüngste Schwester Silvie heiraten wollte. Die Trauung fand in der Kirche zu St. George am Hanover Square statt. Zu seiner Überraschung war sein Studienfreund der Bräutigam. Justin Tamworth war immer ein Musterbeispiel an kühler Gelassenheit gewesen. Ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Immer umgab ihn die Auraunnahbarer Arroganz. Natürlich, er war herablassend und bisweilen zynisch. Ohne Frage konnte er bei weitem selbstsicherere Gemüter als Mrs. Blooms durch seine hochfahrende Art erschüttern. Doch die Köchin hatte den Fremden ganz anders beschrieben: unbeherrscht und wild. Nein, er hatte wirklich nicht damit rechnen können, daß es Justin Tamworth war, der ihn da aufgesucht hatte. Als dieser nun am Tag darauf abermals energisch an die Pfarrhofstür klopfte, versetzte er Mrs. Blooms allein schon durch seinen Anblick derart in Angst und Schrecken, daß sie ihm den Waldweg beschrieb, auf dem der Geistliche gerne spazierenging. Der Wunsch, den unangenehmen Fremden loszuwerden, siegte über die Angst, einem ausdrücklichen Befehl ihres Herrn zuwiderzuhandeln.
    Und so kam es, daß der Reverend nichtsahnend, in die Lektüre
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