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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition)
Autoren: Sophia Farago
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seines Büchleins vertieft, sich langsam der Stelle näherte, an der sich der Waldweg und die kaum befahrene Straße kreuzten, die zu einer kleinen Siedlung westlich von Bath führte. Dort angekommen, fiel sein Blick auf ein sportliches schwarzes Kutschgefährt. Er wäre achtlos daran vorbeigegangen, hätte er nicht durch Zufall zu dem Gentleman aufgeblickt, der regungslos auf dem Kutschbock saß. Dessen Miene verriet nichts Gutes.
    »Tamworth!« rief Westbourne überrascht. »Ich meine natürlich: St. James. Sei mir gegrüßt, alter Freund. Was treibt dich denn in diese einsame Gegend?«
    »Es nützt dir nichts, so zu tun, als wüßtest du nicht, daß ich dich suche«, entgegnete der so Angesprochene anstelle einer Begrüßung. Sein Ton klang unüberhörbar gereizt. Mit einer eleganten Bewegung ließ er sich vom Kutschbock gleiten. »Ich habe dich bereits gestern in deinem Haus aufgesucht. Man sagte mir, du seist nicht anwesend. Und heute finde ich dich hier…« Er blickte sich um und setzte mit spöttischem Blick fort: »… versteckt zwischen Bäumen und Büschen. Wenn du schon vor mir davonläufst, dann solltest du dein Personal besser abrichten. Ohne die Wegbeschreibung deiner Köchin hätte ich dich hier sicher nicht gefunden.«
    Reverend Westbourne preßte die Lippen zusammen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte Tamworth mit barschen Worten zurechtgewiesen. Wie kam dieser Mann dazu, ihn bei seinen einsamen Gedankenso rüde zu unterbrechen? Dazu die aus der Luft gegriffenen Vorwürfe! Eine Ungeheuerlichkeit! Doch schon als Kind hatte Westbourne gelernt, sich zu beherrschen, das unselige aufbrausende Temperament zu zügeln, das ihm, wie anderen Mitgliedern seiner Familie, zu eigen war. Und überhaupt: diese unglaublichen Vorwürfe waren es nicht wert, daß er weiter darauf einging. »Du suchst mich?« fragte er daher schlicht.
    »So ist es. Und du weißt auch, was ich von dir wissen will: Wo ist meine Frau, Westbourne? Wo hältst du Silvie versteckt?« entgegnete der Earl. Obwohl diese Sätze mit ruhiger Stimme vorgebracht worden waren, klangen sie wie eine Drohung.
    Reverend Westbourne seufzte indigniert: »Hast du denn meinen Brief nicht gelesen?« erkundigte er sich in einem Tonfall, den er pflichtvergessenen Schülern gegenüber gerne anschlug: »Ich habe dir doch mitgeteilt, daß ich nicht bereit bin, dieses Thema mit dir zu besprechen.«
    Mit diesen Worten schickte er sich an, an der Kutsche Seiner Lordschaft vorbeizugehen und seinen Spaziergang fortzusetzen, so als habe diese Unterhaltung nicht stattgefunden. Im Innersten war er jedoch beunruhigt und aufgewühlt. Auch er machte sich Sorgen um seine jüngste Schwester. Große Sorgen. Hatte diese mit ihrer überstürzten Abreise nicht doch eine nicht wiedergutzumachende Fehlentscheidung getroffen? Wäre es nicht ihre Pflicht gewesen, bei Tamworth zu bleiben? Ein Leben zu führen im gesicherten Wohlstand? Doch diese Gedanken würde er gewiß nicht mit Justin besprechen – dem Mann, vor dem Silvie davongelaufen war.
    Der Earl hatte die Reise nach Bath mit den besten Vorsätzen begonnen. Er wollte mit seinem alten Studienfreund ein ernstes Gespräch führen. Seine Braut war verschwunden – da war es doch natürlich, daß er nach ihr suchte. Bernard Westbourne, sein alter Schulfreund, konnte ihm nicht ernsthaft seine Hilfe verweigern. Natürlich hatte er bereits mit Silvies Eltern gesprochen. Der Besuch in ihrem Elternhaus, einen Tag nach der Hochzeitsfeier, brachte jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Silvies Vater hatte sich ihm, dem Jüngeren gegenüber bisher stets devot, um nicht zu sagen unterwürfig verhalten.
    Nun empfing er ihn mit einem seiner cholerischen Ausbrüche, derentwegen er in der ganzen Stadt bekannt und gefürchtet war. Er hatte gezetert und getobt. Er hatte Justin mit geröteten Wangen und hervorquellenden Augen beschuldigt, am Unglück seiner Tochter schuld zu sein. Lady Westmore, Silvies Mutter, war während dieser unangenehmen Unterredung still in einer Ecke des kahlen Wohnzimmers gesessen. Sie tat so, als sei sie in eine Stickerei vertieft, während ihr die Tränen unablässig über ihre weißen, früh gealterten Wangen liefen. Um die Peinlichkeit ins Unerträgliche zu steigern, hatte Lord Westmore sich nicht nur nicht gescheut, seine Gattin vor dem Besucher mehrmals zurechtzuweisen. Er bezeichnete sie darüber hinaus als hysterisches Weib, das schuld daran sei, daß ihre Jüngste verwöhnt und aufmüpfig geworden war. Eine
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