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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut
Autoren: Ragnar Jónasson
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bekäme und fragte, wann sie ihn denn abholen wolle, morgen vielleicht? Sie versuchte, ihre Wut zu zügeln und sagte, dass sie den Reis unverzüglich holen komme, legte auf und brach sofort in die Abenddämmerung auf.
    Sie brauchte ungewöhnlich lange, um die Schlüssel in ihrer Handtasche zu finden, als sie zehn Minuten später wieder zurück war – mitsamt dem Reis, um den gemütlichen Abend mit einem leckeren Essen abzurunden. Erst in dem Moment, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, bemerkte sie, dass jemand in der Nähe war; irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte.
    Doch da war es bereits zu spät.

3. Kapitel
    Reykjavík,
    Sommer 2008
    Ari trat aus dem Regen in die Wohnung. Es hatte ihm schon immer ein behagliches Gefühl bereitet, in seine Wohnung in der Öldugata zurückzukehren, diesen Sommer aber war das Gefühl besser denn je.
    »Hi, da bist du ja!«, rief Kristín aus dem Schlafzimmer, wo sie oft mit ihren Büchern an dem kleinen Schreibtisch saß und lernte, wenn sie nicht gerade im Krankenhaus am Arbeiten war.
    Er fand, dass seine Wohnung aufgeblüht war, seit sie hier lebte – die weißen Wände, die vorher einen trüben Eindruck vermittelt hatten, schienen plötzlich hell zu sein. Kristín verfügte über irgendeine unbändige Kraft, sogar wenn sie bloß ruhig am Tisch saß, lernte und kein Wort sagte – genau diese Kraft aber hatte es Ari so sehr angetan. Manchmal jedoch schlich sich bei ihm das dumpfe Gefühl ein, dass er nicht mehr wirklich über sein eigenes Leben bestimmen konnte. Gerade mal vierundzwanzig Jahre alt, doch die Zukunft lag nicht mehr weit ausgebreitet vor ihm. Das erwähnte er ihr gegenüber aber nie; es war nicht gerade seine Stärke, über seine Gefühle zu reden.
    Er spähte ins Schlafzimmer. Sie saß dort und lernte.
    Warum musste sie eigentlich während des ganzen Sommers hinter ihren Büchern sitzen?
    Die Sonne schien auf sie keine Anziehungskraft zu haben, wenn sie sich etwas anderes vorgenommen hatte. »Es genügt mir vollständig, zur Arbeit und wieder nach Hause zu flanieren – das reicht mir als Outdoor-Aktivität«, hatte sie schelmisch gesagt, als er sie einmal mehr dazu überreden wollte, mit ihm an einem sonnigen freien Tag in die Stadt zu schlendern. Diesen Sommer absolvierte er ein Praktikum bei der Polizei auf dem Flughafen Keflavík, doch schon bald würde das letzte Semester in der Polizeischule beginnen.
    Manchmal fragte er sich, was ihn in aller Welt dazu bewogen hatte, vor knapp einem Jahr das Theologiestudium aufzugeben – wenn vielleicht auch nur auf Zeit – und seine Fähigkeiten auf einem ganz anderen Gebiet zu beweisen. Er hatte es in die Polizeischule geschafft, obwohl das Semester bereits begonnen hatte. Irgendetwas faszinierte ihn am Beruf des Polizisten – der Nervenkitzel, die Aufregung. Auf keinen Fall das Gehalt. Er war noch nie der Typ gewesen, der tagelang über Büchern brütete, er brauchte mehr Bewegung, mehr Abwechslung.
    Er genoss die Arbeit bei der Polizei – genoss die Verantwortung, das Adrenalin.
    Noch ein Semester, dann das Diplom. Es war noch nicht abzusehen, wo es ihn nach der Ausbildung hin verschlagen sollte – er hatte sich auf etliche Stellen innerhalb der Polizei beworben, hatte einige Rückmeldungen bekommen, aber kein festes Angebot, noch nicht.
    »Ja – ich bin da. Wie läuft’s?«, rief er Kristín zu und hängte seine blaue Jacke an den Haken. Er ging zu ihr, sie war ganz in ihre Bücher vertieft, und küsste sie auf den Hals.
    »Hi.« Sagte sie mit warmer Stimme. Las aber weiter.
    »Hi. Wie läuft’s?«
    Sie schloss das Buch, passte aber auf, die Stelle sorgfältig mit einem Lesezeichen zu markieren, und drehte sich um.
    »Ganz gut. Warst du im Krafttraining?«
    »Ja – das tut so gut.«
    In diesem Moment klingelte sein Handy.
    Ari holte das Handy aus seiner Jackentasche, sprach mit dem Anrufer und kam wenige Minuten später wieder zurück. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Zufriedenheit.
    Kristín war bereits wieder in ihre Bücher vertieft.
    »Mir ist gerade eine Stelle angeboten worden«, sagte er ohne irgendeine Einleitung. Kristín drehte sich um. Ari schmunzelte.
    »Was? Echt?« Sie schlug das Buch zu, drehte sich rasch um, und dieses Mal vergaß sie, die Stelle im Buch zu markieren. »Phantastisch!«
    Die Freude kam von Herzen. Kristín wirkte eigentlich immer freundlich, als ob sie nichts aus der Ruhe bringen könnte, aber Ari wusste ihre Mimik mittlerweile besser zu lesen. Diese
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