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Schmusemord

Schmusemord

Titel: Schmusemord
Autoren: Gisbert Haefs
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drauf wie ›Matzbach in Bonn? Kann das denn sein?‹ Offenbar hat Czerny irgendwas über Sie gehört.« Komarek zuckte mit den Schultern. »Der Rest war Schichtarbeit am Telefon. Mögen Sie mal ein bißchen erzählen? Von achtundsechzig?«
    Hermine glitt von der Fensterbank, nahm ein gewöhnliches Messer und warf es, scheinbar ohne hinzusehen, haarscharf an Matzbach vorbei; zitternd blieb es im Teakblock stecken, wenige Zentimeter unter dem Glas.
    »Eine Achtundsechziger-Geschichte?« sagte sie. »Ich weiß nicht, ob ich das ertrage.«
    »Haben Sie damit schlechte Erfahrungen gemacht?«
    »Kann man so sagen. Anno achtundsechzig war ich neunzehn und mit der Schreinerlehre noch nicht ganz fertig. Richtige Arbeit, wissen Sie, mit Schwielen an den Händen. Später haben mir dann alle möglichen Leute von der Großen Zeit erzählt – klang für mich immer wie ›Papi erzählt jetzt von Stalingrad‹.«
    »Waterloo?« murmelte Matzbach. »Lützen? Kommune zwei, bei Solferino?«
    Sie zog die Nase kraus. »Mich haben die Storys immer gelangweilt; das war so eine Art abstrakter Ringelpietz, wissen Sie – freischwebendes Spinnen ohne Bezug zur Wirklichkeit; dabei hatte ich trotzdem das Gefühl, ich hätte was verpaßt.«
    »Hast du nicht, scharfes Weib.« Matzbach berührte die Klinge des Messers im Block. »Jedenfalls hier nicht. Du hast natürlich meine größte Zeit verpaßt, ahemm, in der Bretagne.«
    »Warst du damals auch schon unmöglich?«
    »Schlimmer. Nicht unmöglich, sondern neunundzwanzig; furchtbares Alter. Das Alter, in dem man, wenn man zu so etwas neigt, Labyrinthe baut; heute, milde gereift, risse ich Labyrinthe lieber ab. Wenn man mich denn ließe ...«
    Hermine schüttelte die aschblonde Mähne aus, wobei etliche Silberstreifen mitflogen. »Du wirst die Bücher schon noch los. Streichhölzer könnten helfen.« Sie deutete auf die Tür an der nördlichen Kopfseite. »Die Labyrinthgeschichte ertrage ich bestimmt nicht im Stehen. Kaffee? Bequeme Sitze?«
    Auf der überdachten Holzveranda an der Nordseite des Herrenhauses ließ sich, wie Matzbach bemerkte, sogar der rheinische Stickstoffsommer ertragen. Komarek riskierte einen Blick auf die fernen Türme des Kölner Doms und widmete sich dann abwechselnd seinem Kaffeebecher und dem verstrüppten Garten; Hermine hatte die Hände hinter dem Kopf gefaltet und betrachtete Matzbach, der die Zigarre in einen riesigen roten Aschenbecher aus Glas gelegt hatte, um besser gestikulieren zu können.
    Er faßte sich kurz, da sein damaliges Innenleben, wie er sagte, ihm selbst ein Greuel sei und überdies niemanden interessiere. Einige Jahre oder ein wenig mehr habe er sich in der Bretagne aufgehalten, »irgendwo schräg links hinter Roscoff«, in einem für wenig Geld gemieteten alten Gehöft. Dort habe er sich dem Okkultismus genähert (»bis dieser erschrocken zurückwich«), Touristinnen veruntreut, an druidischen Kabalen mitgehäkelt, eine Art Galerie für die Erzeugnisse junger heimischer und durchreisender Künstler betrieben, die ersten Fassungen von der Fachliteratur staunend ignorierter Bücher wie
Sexualpathologische Aspekte der Psychokinese
entworfen ...
    Komarek unterbrach. »Letzteres nach eingehenden Feldforschungen? Unter tätlicher Hilfe der Touristinnen?«
    Matzbach schnaubte. »Nu nebbich.« Und ferner, sagte er, habe er dort ein Labyrinth gebaut.
    Wieder wurde er unterbrochen, diesmal von Hermine. »Wie sah das aus? Ein richtiges Labyrinth? Aus Steinen? Oder Hecken? Pappmaché? Plastik?«
    »Wird nicht verraten.« Er grinste. »Am Ende hältst du mich sonst für einen begabten Maurer oder Pappkleber oder Heckenschneider, und das wollen wir doch vermeiden, nicht wahr? Überschätzung führt zu verehrender Entfremdung, die das Konkubinat schänden könnte.«
    »Ah ja. Und wie kommt dieser tote Österreicher ins Spiel?«
    »Albin Czerny ... die Einheimischen nannten ihn Saint Aubin, sofern sie ihn überhaupt genannt haben. Er ist im Spätsommer, als die Revolution erledigt war, angekommen, drei Tage geblieben und dann wieder verschwunden.«
    »Woher ist er gekommen, wohin ist er verschwunden, was war überhaupt mit ihm? Mann, laß dir doch nicht die Würmer aus der Nase ziehen!«
    Matzbach berührte seinen Kolben. »Da sind keine drin, Madame Hermeline,
parole d’honneur
. Wie auch immer. Willst du das wirklich wissen?«
    »Möglicherweise; genau kann ich das erst hinterher sagen.«
    »Du wirst es nicht mögen; es ist gewöhnlich.«
    »Das wäre bei dir
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