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Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Titel: Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Autoren: Maybrit Illner , Hajo Schumacher
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Diplom-Sozialwissenschaftler lebt in Essen.

JÖRN THIESSEN
    Der amerikanische Präsident, meine Frau und ich
    Richard Nixon wurde im Dezember des Jahres 1972 als Präsident der USA wiedergewählt. Mit diesem berühmten Abstürzler verbindet mich rein gar nichts bis auf das schmale tertium comparationis, dass wir beide eben Politiker sind und nach Wiederwahl streben. Nixons re-election hat ihm nichts gebracht und meine steht in den Sternen zwischen Marsch und Watt in Schleswig-Holstein.
    Dennoch geben die jüngst freigegebenen 90 000 Seiten an Dokumenten und 200 Stunden Tonbandaufnahmen aus dem Oval Office einiges her für den Lebensalltag eines Hinterbänklers aus dem Norden unserer Republik.
    Wenige Tage nach der Wahl sah sich Richard Nixon allüberall von Feinden und Spitzeln umgeben. Und so sprach er zu seinem Vertrauten und Nationalen Sicherheitsberater Kissinger: »Die Presse ist der Feind. Das Establishment ist der Feind. (…) Die Professoren sind der Feind! Schreiben Sie das hundertmal an die Tafel, und vergessen Sie es nie.«
     
    »Die Presse ist der Feind.« Aha. Alle. Samt und sonders. Für Nixon alles klar. Aber für MdB Thießen? Am 7. Juli 2007 bin ich mit einem höchst attraktiven Teil der Berliner, wenn nicht deutschen, Presse vor den Traualtar getreten. Und habe damit eine wunderbare, ideologisch dennoch fragwürdige Verbindung nicht nur vor den Augen unseres damals schon nicht mehr krabbelnden Sohnes,
sondern auch vor dem Schöpfer des Himmels und der Erde legalisiert und segnen lassen.
    Wie alles im Leben hat auch unser himmlisch ausgerichtetes Leben seine Höllenseiten. Und zwar immer und regelmäßig dann, wenn wir beide nach getaner Arbeit dazu kommen, uns über Politik zu unterhalten. Was heißt unterhalten?! Unter uns: Nach 22 Uhr interessiere ich mich überhaupt nicht für Politik. Oft auch schon ab 18 Uhr nicht mehr.
    Meine Gattin hingegen agiert gegenzyklisch: Tagsüber organisiert sie irgendeinen Pressewahnsinn rund um die Politik, angelt im Teich der Talkshowgäste, schraubt sich und andere in die Linsen der Kamera, quält die Tastatur bis zur milliardsten Presseerklärung. Und abends dann, wenn in Berlin die Lichter angehen, wenn das Kölsch bei Drautzburg fließt, wenn ich die Kinder im Bett habe und unter der Bettdecke in meinem Simenon schmökern will - dann erwacht das Interesse der Journalistin an Politik. Ausgerechnet dann. Ausgerechnet neben mir. Schon horizontal oder noch vertikal mit horizontalem Trend. Dann kommt meine Liebe gerade von einer »Anverstaltung«, wie unser vierjähriger Sohn solche Wortmüllkippen nennt, hat mit X und Hopp gesprochen und muss nun, exakt nun, und sofort mit mir über Konsumgutscheine verhandeln. Oder über Struck. Oder darüber, warum ich nie in der Zeitung stehe.
    Letzterer Vorwurf kommt oft vor. Und weil ich nicht in den Hauptstadtpresseerzeugnissen erscheine, sondern sich mein gedrucktes Leben in der Norddeutschen Rundschau abspielt, hält meine Gattin mich für eine Medienlusche. Sozi und Medienlusche - eine Kombi, die stets erneut zu vergnüglichen Debatten zwischen vertikaler und horizontaler Achse führt.

    Aber auf meine Heimatzeitungen lasse ich nichts kommen. Die eine berichtet gern mal über mich, die andere nur dann, wenn auch ein Schwarzer genau das will, was ich auch will, und das nur lokal, die dritte legt bei Nennung meines Namens mangels Interesse automatisch den Hörer auf. Das ist meine kleine Welt, mein Wahlkreis, meine Öffentlichkeit. Damit haben schon Generationen von Politikern vor mir gerungen. Der einzige Trost besteht mittlerweile darin, dass die Schwarzen mangels Köpfen und vor allem Ideen keinen Deut besser behandelt werden als ich.
    Manchmal - out of the blue - nimmt sich ein Journalist meiner an. Ein echter aus Berlin. Dann stehe ich im Frühstücksfernsehen rum oder in einer wirklich sehr großen Zeitung. Als »Experte« immerhin. Falls es Ihnen entgangen sein sollte: Ich bin Mitglied im Verteidigungsausschuss, Sektenbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion und aktiv im Deutsch-Afghanischen Freundeskreis. Zudem stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Japanischen Parlamentariergruppe. Und wenn von den »echten« Expertinnen und Experten alle weg sind, dann bin ich im Bewährungsaufstieg. Und falle flugs wieder runter, wenn die anderen zurück sind.
     
    Meine liebe Frau bleibt angesichts solcher Vorgänge noch länger in der Horizontalen als gewöhnlich. Ihre Stimme nimmt dann so einen Predigtton an, den selbst
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