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Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Titel: Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Autoren: Maybrit Illner , Hajo Schumacher
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bundesdeutschen Föderalismus an. Der Bildungsföderalismus stelle Eltern und Kinder beim Schulwechsel von einem in ein anderes Bundesland vor große Probleme: »Nichts passt zusammen, das Niveau nicht, der Lehrplan nicht, die Fächerfolge nicht.« Den Fischen mache der Föderalismus im Grunde nichts
aus: »Hechte im Ammersee können schlecht umziehen, aber Menschen ziehen um in Deutschland.« Und weiter: »Die modernen Nomaden-Eltern erleben aber jeden Tag mit, wie ihr Kind in der neuen Schule am neuen Wohnort Qualen leidet, weil es entweder komplett unter- oder komplett überfordert ist.«
    In der Kritik an den Fehlsteuerungen des bundesdeutschen Föderalismus stimme ich mit Schwennicke durchaus überein. Es ist schlicht nicht einzusehen, warum jedes der 16 Bundesländer eine andere Schulpolitik verfolgt - woran auch die Kultusministerkonferenz nichts bessert. Aber dieses Beispiel verweist auch auf den entscheidenden Unterschied zwischen der Arbeit eines Journalisten und der eines Politikers: Journalisten steht es frei, in ihren Beiträgen nicht nur Missstände aller Art anzuprangern, sondern auch zu suggerieren, es gäbe auf komplizierte gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Fragen ganz einfache Antworten. Politikerinnen und Politiker können das so nicht, schon gar nicht, wenn ihre Partei die Regierung mitträgt. Sie stehen in der Verantwortung, tatsächliche Lösungen für diese komplizierten Fragen zu erarbeiten, diese - in der Regel - mit einem Koalitionspartner auszuhandeln und dann in die Tat umzusetzen. Mit den Ergebnissen ihrer Arbeit müssen sie sich dann den Bürgern zur Wahl stellen. Eine solche Verantwortung des Handelns haben Journalisten natürlich nicht. Aus diesem Unterschied erwächst die zentrale Spannung im Verhältnis zwischen Politik und Journalismus, die das gegenseitige Arbeitsverhältnis nicht immer einfach macht: Hier die Aufgabe, politisch zu entscheiden und zu handeln; dort die Aufgabe zu Kritik und Kontrolle der politischen Arbeit. Und dennoch sind beide Seiten bei ihrer Arbeit auf die jeweils andere angewiesen.

    Zurück zu den einfachen Antworten: Im Oktober 2006 versuchte sich Christoph Schwennicke in der Süddeutschen Zeitung mit einem eigenen Katalog an Vorschlägen für Reformen am politischen System der Bundesrepublik. Ausgangspunkt seiner Reformvorschläge unter der Überschrift »So retten wir Deutschland« war die Frage, warum Angela Merkel eigentlich vom »›Durchregieren‹ abgekommen und auf die ›Politik der kleinen Schritte‹ verfallen« sei. Schwennickes Antwort: »Weil politisch nichts mehr geht in Deutschland (…). Das Land ist unregierbar.« Um das Land aus dieser diagnostizierten Dauerblockade zu befreien, schlug Schwennicke in einem Zwölf-Punkte-Plan unter anderem die Einführung des Mehrheitswahlrechts, das Ersetzen des Bundesrates durch einen Senat wie in den Vereinigten Staaten, die völlige Finanzentflechtung von Bund und Ländern, die Reduzierung der Anzahl der Bundesländer sowie die Volkswahl des Bundespräsidenten vor.
    In einer Widerrede hat der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker diesen Beitrag in der von mir mit herausgegebenen politischen Zeitschrift Berliner Republik in allen Einzelheiten auseinandergebaut. »Reformvorschläge sind nämlich nur dann tauglich, wenn man ihre Systemverträglichkeit beachtet«, konstatierte Decker. »Es reicht eben nicht, sich auf der grünen Wiese Idealmodelle auszumalen und dann an die Politik zu appellieren, sie solle sich doch bitte einen ›Ruck‹ geben und diese verwirklichen«, so Decker weiter. Zwar gab der Politikwissenschaftler zu, dass Schwennickes Vorschläge eine humorvolle Mischung darstellten, die man mit Vergnügen lese, deren »ironische und polemische Zutaten« ließen sich »vom offenkundig ernst gemeinten Kern der Systemkritik aber nur schwer trennen«. Dass derartige journalistische Analysen in der
Substanz an den Problemen der Regierungsfähigkeit in diesem Land vorbeigingen, ließe sich Decker zufolge durchaus verschmerzen, »würden die so transportierten populistischen Vorstellungen nicht starken öffentlichen Widerhall finden und verbreiteten Ressentiments gegenüber der Politik und dem politischen System in die Hände spielen«.
     
    Auch Journalisten müssen sich stets ihrer Verantwortung bewusst sein, über wen oder was sie auf welche Art und Weise schreiben. Denn sie beeinflussen mit ihren Artikeln die politische Meinungsbildung, ja sie können sogar die Macht besitzen,
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