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Schmiede Gottes

Schmiede Gottes

Titel: Schmiede Gottes
Autoren: Greg Bear
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Beten zumute. Er war in einer Art Hochstimmung. Er schaute nach Osten, weg vom Tal, über die fallenden Bäume hinaus, und sah etwas Dunkles und Massives am Horizont. Keine Wolken, keine Gewitterfront, sondern…
    Er war jenseits von Staunen und Verwunderung. Was er sah, konnte nur eines sein: östlich der Sierra Nevada, längs der zwischen den Gebirgen durch Äonen von Schwerkräften geschaffenen Bruchlinie und der dahinter gelegenen Wüste spaltete sich der Kontinent und stieß seinen gezackten Rand Dutzende von Kilometern in die Atmosphäre hoch.
    Edward brauchte keine Berechnungen anzustellen, um zu wissen, daß dies das Ende bedeutete. Eine solche Energie – selbst wenn alle andere Aktivität aufhörte – würde ausreichen, um alle Lebewesen längs der Westkante des Kontinents zu zerschmettern, genug, um das ganze Antlitz von Nordamerika zu verändern.
    In seiner Magengrube hatte er ein Gefühl von Beschleunigung. Aufsteigen. Seine Haut schien zu kochen. Aufsteigen. Es bliesen Winde, die sie wegzutragen drohten. Mit letzter Kraft hielt er Betsy fest. Minelli konnte er einen Augenblick lang nicht sehen. Dann öffnete er seine schmerzenden Augen und sah vor einem trüben blauen Himmel voller Sterne – wie Minelli da stand, selig lächelnd, mit erhobenen Armen, dicht an der Kante. Durch Wälle von Staub auf einer frisch freigelegten Granitplatte trat er mit offenem Munde zurück und brüllte in den übermächtigen Krach, ohne daß man ihn hören konnte.
    Yosemite ist weg. Die Erde dürfte dahin sein. Ich denke immer noch. Das einzige, was Edward außerhalb der endlosen Beschleunigung noch fühlen konnte, war Betsys Körper an dem seinen. Er konnte kaum atmen.
    Sie lagen nicht mehr auf dem Boden, sondern fielen. Edward sah Felsenmauern – Hunderte von Metern breit – und sich drehende Bäume und zerfallende Erdklumpen und sogar, nur einige Meter entfernt, eine kleine Frau dahinfliegen, mit engelhaftem Gesicht, geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Licht verschwand.
    Die Granitmassen begruben sie alle.

 
74
     
    Aus einer Höhe von sechzehntausend Kilometern erschien die Erde so natürlich und friedlich und schön wie vor dreißig Jahren, als Arthur sie zum ersten Male in Großaufnahmen aus dem Weltraum gesehen hatte. Dieser Anblick – ein Juwel aus Opal und Lapislazuli, marmoriert durch üppige Wolkenwirbel – hatte ihn berauscht und ihm mehr denn je das Gefühl vermittelt, Teil eines kosmischen Ganzen zu sein. Er hatte sein Leben verändert.
    Die Augenzeugen waren niedergeschlagen. Niemand sagte einen Ton oder machte ein lautes Geräusch. Arthur hatte bei einer Menschenmenge noch nie eine so angespannte Konzentration erlebt. Marty stand neben ihm. Er hatte seine Hand losgelassen, ein nicht einmal einhundertvierzig Zentimeter großer Junge. Wieviel versteht er?
    Vielleicht ebenso viel wie ich.
    Nichts war mit dem Schauspiel zu vergleichen, das sie erwartete. Weder das Abbrennen eines ererbten Hauses, noch der Untergang eines Ozeanriesen; nicht die Bombardierung einer Stadt oder der Schrecken von Massengräbern in Zeiten von Revolution oder Krieg. Das gegen die Menschheit begangene Verbrechen war praktisch total. Selbst für sie – die Insassen der Archen und die zur Beförderung in den Archen geretteten Dokumente – würde die Erde nicht mehr existieren.
    Arthur konnte mit seinen Gedanken nicht den vollen Umfang erfassen. Er mußte einzelne Verluste ertragen und darüber nachdenken. Es waren große persönliche Verluste und Dinge, um die es ihm leid tun würde. Aber sein individueller Geist ergab nicht ein holographisches Bild der Menschheit.
    Es würden wesentliche Dinge vernichtet werden, die er nie kennengelernt hatte. Zusammenhänge, Erkenntnismittel und Geschichten, die bis jetzt noch nicht entdeckt waren und nun verlorengingen. Alle Archen würden das retten, was die Menschen bisher über sich selbst gelernt hatten. Danach würden sie Flüchtlinge sein – ohne Hoffnung, je in ihre Heimat zurückkehren zu können oder den Faden der verlorenen Vergangenheit wieder aufzunehmen.
    Sie würden abhängig sein von der Güte, oder was immer die Beweggründe sein mochten, von Fremden, von nichtmenschlichen Intelligenzen, die bisher wenig Miene gemacht hatten, sich zu offenbaren. Wohltäter, ebenso geheimnisvoll wie ihre Vernichter.
    Leben. Milliarden menschlicher Wesen, deren Existenz immer zerbrechlich gewesen war, tauchten gemeinsam ins Vergessen. Arthur
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