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Schmetterlingsscherben

Schmetterlingsscherben

Titel: Schmetterlingsscherben
Autoren: Esther Hazy
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Widerwillig zog ich mir die Kapuze vom Kopf, senkte die Augenlider und nahm die Sonnenbrille ab.
    Als ich wieder nach vorne sah, versuchte ich die gaffenden Visagen zu ignorieren. Offenbar brachte der Anblick meiner Augen noch immer einige aus dem Konzept. Dabei waren sie eigentlich nicht einmal besonders aufregend, sie hatten lediglich einen sehr seltenen, intensiven Farbton. Ich hatte nichts gegen meine Augenfarbe. Ich hatte sie sogar mal sehr schön gefunden. Damals, als alle Leute mir dafür Komplimente gemacht hatten. Außergewöhnlich . Besonders schön . Mein ehemals bester Freund hatte immer gesagt, meine Augen wären wie gebrochenes Eis. Bis ich angefangen hatte, Dinge zu sehen. Und danach waren es immer nur noch die ‚psychopathischen Augen der Irren‘ gewesen.
    Selbst Herr Aschermann glotzte mich einen Moment fassungslos an, eher er sich laut räusperte und zur Kreide griff. «Gut. Fangen wir mit dem Kapitel von letzter Woche wieder an.»
    Die Gesichter wandten sich allmählich alle wieder ab und ich senkte die Augen und starrte den Rest des Tages nur noch auf mein Pult. In den Pausen verkroch ich mich wieder hinter dem Schutz meiner Sonnenbrille und der Kapuze und saß mit Dora zusammen auf dem Pausenhof herum. Sie redete die ganze Zeit, was mir ganz recht war. Sie brauchte keinen Partner für eine Konversation und ich war froh darüber, nichts sagen zu müssen.
    «Louise? Hörst du mir zu?!» Sie stupste mich gegen die Schulter und erschrocken fuhr ich hoch. «Was?»
    «Ob du Lust hättest, mit mir ins Kino zu gehen! Montags ist Kinotag, da kostet‘s nur drei fünfzig Eintritt!»
    «Äh.» Ich starrte sie irritiert an und dachte daran, wie sich mein Vater freuen würde, wenn ich ihm erzählte, dass ich mit einer Schulfreundin ins Kino gehen würde. «Klar, wieso nicht», seufzte ich also und hoffte inständig, dass irgendetwas Anständiges lief.
    «Echt? Das ist ja super!» Und schon sprudelte sie wieder von Neuem los.
    Ich war erleichtert, als es endlich zum Ende des Schultages klingelte und ich mich auf den Weg nach Hause machen konnte. Ich freute mich auf ein paar Stunden Ruhe, ehe mein Vater nach Hause kam und mich wegen der Schule aushorchen würde.
    Aber irgendwie hatte ich verdrängt, dass in Orten wie diesen die Geschäfte noch richtig Mittagspause machten. Mein Vater war also bereits zu Hause und stand in der Küche, als ich den Flur betrat und die Tür hinter mir zuzog.
    «Na, wie war's?», fragte er neugierig und blickte um die Ecke. «Ich hoffe, du isst Spaghetti? Ich dachte, damit kann ich nichts falsch machen, oder?»
    «Klar, klingt super», nickte ich und schmiss meine Schultasche in die Ecke, ehe ich ins Wohnzimmer schlurfte und mich am Esstisch niederließ.
    «Und? Hast du noch jemanden wiedererkannt?» Rüdiger grinste gut gelaunt und häufte mir massig Spaghetti auf den Teller.
    «So lang ist das jetzt auch wieder nicht her, Paps», murmelte ich und schob mir eine Gabel voll davon in den Mund. Ich aß viel, obwohl ich nur wenig Appetit verspürte. Aber solange ich was im Mund hatte, konnte ich schließlich schlecht erzählen und ich wollte auch nicht die Hälfte des Tellers stehen lassen. Tapfer kämpfte ich mich also durch die riesige Portion und sehnte mich fast schon nach den winzigen Rationen aus dem Krankenhaus.
    Nach dem Essen musste mein Vater wieder zurück in den Buchladen und ich verzog mich auf mein Zimmer. Eine halbe Stunde lang starrte ich auf meine Hausaufgaben, ehe ich sie wegräumte. Lustlos sah ich mich in meinem neuen Zimmer um und griff nach dem Schlüsselanhänger, den mir meine Mutter noch vor ein paar Wochen gekauft hatte. Es war ein kleiner, silberner Engel, der mir Glück bringen sollte und mich beschützen sollte. Das war kurz vor dem Unfall gewesen. Ich biss mir auf die Unterlippe und schleuderte den Engel gegen die gegenüberliegende Zimmerwand, als ein leiser Aufschrei zu hören war.
    «Das hat verdammt weh getan!»
    Ich starrte auf den silbernen Fleck auf dem Sofa, der sich jetzt langsam erhob. Der Engel hatte die Flügel ausgestreckt und flog direkt auf mich zu. «Das war wirklich unhöflich!»
    Ich schloss die Augen, in der Hoffnung, die Halluzination würde verschwinden. Aber das hatte noch nie geholfen. Als ich sie wieder öffnete, hatte es sich der Engel auf meinem Schreibtisch bequem gemacht.
    Ich warf einen Blick auf die Uhr. Noch zwei Stunden, bis Dora mich abholen kam. Vielleicht war Gesellschaft doch gar keine so schlechte Idee. Da fiel es mir
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