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Schmetterlingsschatten

Schmetterlingsschatten

Titel: Schmetterlingsschatten
Autoren: Veronika Bicker
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Zähne zusammen und begann zu lesen.
    Es war kein Mord gewesen. In einem Punkt hatte Vivienne recht gehabt, es war ein Unfall. Je weiter Elena las, desto deutlicher nahmen die Ereignisse des verhängnisvollen Abends vor ihrem inneren Auge Gestalt an. Fast war es, als wäre sie selbst dabei gewesen.
    Sie las, wie Laura und die anderen in der Stadt in ein Haus einstiegen und dort einen Autoschlüssel klauten. Alle zusammen quetschten sie sich in den Mercedes, auf der Rückbank saßen sie zu viert, drei kauerten im Kofferraum. Laura saß hinter dem Steuer. So kurvten sie durch die Gegend, hielten ab und zu an, um Zigaretten und Bier zu kaufen, und fuhren dann weiter. Im Auto gingen zwei geklaute Flaschen Wodka von Hand zu Hand. Die Stimmung war gut, die Nacht heiß, da beschlossen sie, schwimmen zu gehen.
    So machten sie sich auf den Weg zum Baggersee.
    Der Baggersee, dachte Elena dumpf, dort, wo Tristan mich zum ersten Mal geküsst hat. Aber das hatte nichts zu sagen, Vanessa und ihre Freunde kannten diesen Ort schließlich auch. Sie konzentrierte sich wieder auf den Artikel.
    Laura und ihre Mitfahrer hörten laut Musik, tranken, aßen Chips und niemand achtete so recht auf die Straße, nicht einmal Laura. Das fremde Mädchen sahen sie erst, als es direkt vor dem Auto auftauchte. Laura versuchte zu bremsen, aber das Auto war viel zu schnell. Der Mercedes geriet ins Schleudern, erwischte das Mädchen frontal und schleuderte es zwischen die Bäume.
    Sobald Laura das Auto zum Stehen gebracht hatte, rannten die Ersten los, um nach dem Mädchen zu sehen.
    Doch jede Hilfe kam zu spät. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass sie tot war. So viel Blut, auf ihrem Gesicht, auf ihren Kleidern, einigen aus der Clique wurde schlecht. Alle wandten sie sich ab, bis auf Laura, die ihren Blick nicht von dem toten Mädchen lassen konnte.
    Sie mussten etwas tun. Sie konnten nicht einfach zur Polizei gehen, mit dem gestohlenen Auto und dem Alkohol. Alle hatten Angst vor der Strafe, die darauf stand. Also schleppten sie die Leiche weiter in den Wald hinein und häuften Zweige, Steine und Erde über sie, so gut es ging. Der Boden war so ausgetrocknet und hart, dass sie ohne Schaufel keine tiefe Grube ausheben konnten. Das Auto, das verbeult und blutverschmiert war, versenkten sie in einem Tümpel. Sie hatten es eigentlich zurückbringen wollen, aber das ging nun nicht mehr. Danach schlichen sie alle nach Hause, jeder für sich.
    In den nächsten Tagen begann das große Vergessen. Schließlich hatten sie nichts getan, es war Laura, die das Auto gefahren hatte, und außerdem schien niemand das Mädchen zu vermissen. Allein Laura hatte immer und immer wieder das tote Gesicht vor Augen, wenn sie einschlief, wenn sie aufstand, in der Schule, überall. Sie konnte nicht vergessen, wie das Mädchen ausgesehen hatte, und wenn sie an die Tote dachte, glaubte sie manchmal, diese würde Laura aus vorwurfsvollen Augen ansehen. Schließlich hatte sie es nicht mehr ausgehalten und hatte diesen Artikel geschrieben. Als Sühne für das tote Mädchen. Sie war bereit, alle Konsequenzen auf sich zu nehmen, und sie wollte die Familie des Mädchens wissen lassen, dass es ihr leidtat.
    Hier brach der Artikel ab. Ihre Schwester hatte wohl keine Zeit mehr gehabt, diese Dinge weiter auszuführen.
    Elena schloss die Datei. Einige Minuten lang saß sie einfach nur auf ihrem Schreibtischstuhl und starrte auf das Savannenpanorama, das sie als Bildschirmhintergrund verwendete. Sie hätte nicht sagen können, was ihr gerade durch den Kopf ging. Überraschung, Angst, Trauer, Ärger. Und die Frage, wie viel ihre Mutter davon gewusst hatte. Alles? Oder hatte sie nur Vermutungen angestellt? Sie muss in dem Tagebuch gelesen haben, dachte Elena. Und dann hat sie es versteckt… warum?Sie konnte es drehen, wie sie wollte, es ergab keinen Sinn, außer, dass ihre Mutter nicht wollte, dass Elena die Wahrheit herausfand. Aber warum nicht?
    Auf jeden Fall sollte das jetzt ein Ende haben. Sie würde zur Polizei gehen und ihr den Artikel bringen. Sie wollte gerade aufstehen, als ihre Zimmertür aufging und ihre Mutter hereintrat.
    Elena fuhr erschrocken zusammen, sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie spät es war und dass ihre Mutter schon nach Hause gekommen war. Über Lauras Artikel hatte sie vollkommen die Zeit vergessen.
    »Elena…« Schon der Tonfall ihrer Mutter sagte Elena, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
    »Was ist?« Sie fragte sich, was ihre
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