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Schluss mit der Umerziehung!

Schluss mit der Umerziehung!

Titel: Schluss mit der Umerziehung!
Autoren: Gisela A. Erler
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härter, wir befänden uns mitten in einer großen Verschiebung mit offenem Ausgang, die keinerlei Festschreibungen erlaube. Wir sollten im Gegenteil alles tun, um die Erprobung neuer Muster und Stile, Cross-over-Verhaltensweisen zu unterstützen. Frauenfußball! Männer im Ballett! Frauen als Feuerwehrfrauen! Männer als Geburtshelfer!
    All das gefällt auch mir, macht mir Mut, all das sollten wir unterstützen. Die Grenzen zwischen den Geschlechtern liegen ganz sicher auf keinen Fall darin, dass eine Frau oder ein Mann bestimmte Dinge nicht tun sollte oder tun könnte – Auto fahren in Saudi-Arabien oder Panzer steuern in Deutschland. Die Grenzen liegen nicht in der erforderlichen Kompetenz. Wie stark Frauen noch werden und wann Männer vorwiegend Röcke tragen, ist ungewiss – und ich setze keine normativen Grenzen. Im Gegenteil: Das Austesten und Überwinden von Grenzen ist Teil unserer Zukunft, Spaß an neuen Identitäten ebenfalls. Für viele.
    Und trotzdem gilt: Wir haben ein mächtiges kulturelles und neurobiologisches Erbe in uns, das weiterhin unterschiedliche Geschlechterdispositionen erzeugt. Die Unterschiede in Motivationen und Antrieben, in Kommunikationsstilen und Interessen sind groß und in vieler Hinsicht stabil, wenn nicht sogar wachsend. Meine sechs Enkelkinder sind individuell sehr verschieden, die Jungen teilweise sanfter als die Mädchen, aber die Jungen-Mädchen-Differenzen sind dennoch geradezu überwältigend. Ich habe, all meinem Wissen zum Trotz, nicht damit gerechnet, wie heftig sich dies heute auch in so fortschrittlichen jungen Familien mit äußerst aktiven und fürsorglichen Vätern noch immer Bahn bricht. Von Anfang an.
    Wie also können wir als von unserem jeweiligen Geschlecht stark bestimmte Individuen mit unseren spezifischen inneren Dispositionen so zusammenarbeiten, dass es uns Spaß macht und dass es erfolgreich ist? Dass es wirklich gelingt, und zwar auf Augenhöhe? Ganz unten und ganz oben! Und nicht nur für eng begrenzte Minderheiten, die kulturell dem anderen Geschlecht am nächsten sind?
    Die feministische Wissenschaft hat Unschätzbares geleistet zu den Themen, wie Frauen und Männer sich zueinander verhalten, wie Gewalt aussieht, wie sich Diskriminierung anfühlt und wie sich Körpersprache auswirkt. Sie wurde zur unsichtbaren Stiefschwester der Versuche, frauenpolitische Strategien für Unternehmen, Verwaltungen und Politik zu entwickeln, geronnen in den Katalogen zum »Gender-Mainstreaming«, die so richtig sind, wie sie letztlich folgenlos bleiben. Die meisten dieser Konzepte und Rezepte basieren aber auf zwei problematischen Annahmen: der Opferrolle von Frauen und dem Wunsch, Frauen wie Männer umzuerziehen.
    Dieser Text geht nicht in Gegenposition zu all dem, was entwickelt wurde. Vieles, was ich hier ausbreite, mag anderswo genauer und klüger geschrieben oder gesagt worden sein. Aber mein Ansatz ist dennoch grundsätzlich anders: Ich gehe davon aus, dass neues Denken und Handeln Freude machen, dass es anziehend sein, persönlichen Gewinn versprechen muss – jedenfalls mehr als Verlust. Schon im Müttermanifest hieß es, dass Männer erst dann in die Familien einziehen werden, wenn die familiären Aufgaben nicht nur als schreckliche Pflichten weitergereicht werden, sondern wenn der Gewinn an persönlichem Wachstum, Kompetenz und auch an Macht ins Zentrum rückt. Wenn also, schlicht gesagt, Kochen, Kinderbetreuung und in Ansätzen selbst die Hausarbeit »hip« werden. Wir sind dabei noch nicht weit gekommen, aber wer vor dreißig Jahren Kinder hatte, kann den Unterschied zu heute gar nicht leugnen. Ja, Väter machen noch immer freiwillig Überstunden und flüchten vor dem Abwasch. Aber nur extrem bornierte Menschen können die drastische Umwertung und die damit einhergehende Änderung des Verhaltens noch bestreiten. Ist die partnerschaftliche Beziehung dadurch glücklicher? Nicht immer. Ist sie unterm Strich produktiver und zukunftsfähiger? Eher ja, wenn auch – heute noch – anstrengender. Die Anstrengung kann sich aber legen, mit wachsender Erfahrung. Das gilt auch für Unternehmen und Politik.
    Anreize also und Belohnung, Spaß am Experiment und der Veränderung und am klaren Nutzen, der daraus für die Zukunft zu ziehen ist – das ist der Kern meiner Vorschläge. Muss Veränderung immer wehtun? Vielleicht
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